Paradies?

Die Bilder der letzten drei Posts mögen den Eindruck erwecken, Barbuda käme dem Paradies sehr nahe. Tatsächlich werden fast alle positiven Klischees der Karibik hier bedient: scheinbar endlose helle Strände, Palmen, Ankerplätze im leuchtenden Türkis. Und es ist alles andere als überfüllt.

Die Schattenseiten zeigen sich oft erst auf den zweiten Blick. Die ins Meer abrutschende Ruine des Luxushotels am Nordende des Durchbruchs in die Lagune hatte ich ja schon erwähnt und auch am Princess Diana Beach vergammeln Ruinen eines einstigen Luxushotels. Aber Sprengkraft hat nicht nur die Naturgewalt des Hurrikans bewiesen, sondern auch der verwaltungsseitige Umgang mit den Folgen.

So wurden die Bewohner Barbudas nicht etwa VOR dem Hurrikan Irma von der Insel evakuiert, sondern ganz überwiegend DANACH (!) mit dem Argument eines drohenden weiteren Hurrikans. Wer sich nicht evakuieren lassen wollte wurde verhaftet. Viele mussten ein Jahr lang auf Antigua bleiben und durften in der Zwischenzeit immer nur tageweise zurück auf ihre Heimatinsel.

Zudem wurde von der Regierung in Antigua und Barbuda der Versuch unternommen, das bis dato zumindest gewohnheitsrechtlich bestehende (und in Teilen 2007 im Barbuda Land Act auch kodifizierte) Gemeinschaftseigentum der Bewohner Barbudas am Grund und Boden dieser Insel umzuwandeln in “normales” Privateigentum. Den Locals wurde wohl angeboten, das jeweils von ihnen genutzte Grundstück für einen symbolischen Preis von einem Dollar zu kaufen, also privates Grundeigentum auf Barbuda einzuführen. Einige sehen darin den Versuch, die Naturkatastrophe als Vehikel für eine gesellschaftsrechtliche Änderung zu nutzen (“disaster capitalism”). Festgemacht wird dieser Vorwurf auch daran, dass potentielle Betreiber großer Luxushotels während der Phase der Evakuierung die Insel betreten und ihre Planungen vorantreiben durften, die dann kurz darauf mit langfristigen Erbbaurechtsverträgen abgesichert auch in die Umsetzung gingen, während die zerstörten bisherigen Hotels weiter vor sich hin rotten. Eine (umfangreiche und englische) Zusammenfassung dieser Position findet sich auf der Seite des Independent.

Ob es wirklich beabsichtigt ist, in die flache Lagune vor Codrington eine Luxusmarina für Superyachten hineinzubaggern? Ganz sicher würde das nicht nur den Charakter Barbudas verändern, sondern auch einen empfindlichen Eingriff in diese riesige Kinderstube für Fische, Lobster und Fregattvögel bedeuten.

Letzteren statten wir im „Frigate Bird Sanctuary“ gemeinsam mit Annemarie und Volker und geführt von dem lokalen Fischer Salomon einen Besuch ab. Es ist das größte Schutz- und Brutgebiet dieser beeindruckenden Vögel in der westlichen Hemisphäre. Tatsächlich ziehen die ihren roten Kehlsack aufblasenden Männchen nach erfolgter Balz und und ein wenig Beteiligung an der Aufzucht in der Zeit von September bis April weiter nach Galapagos, während die (an der weißen Brust erkennbaren) Weibchen hier bleiben (weißer Kopf übrigens Jungvogel).

Wir waren im Frühjahr schon einmal hier, gegen Ende der Balz, die Brut war schon im vollen Gange, einige Küken schon geschlüpft. Gefühlt waren diesmal mehr Männchen da.

Und die Fregattvögel sind nicht nur toll anzuschauen, es sind auch ohnehin faszinierende Tiere, selbst wenn sie nicht am dritten Advent wie rote Weihnachtsbaumkugeln aus dem Grün leuchten 😉. Sie sind im Verhältnis zur Körpergröße leichter als jeder andere Vogel, zumal ihre Knochen zu einem großen Teil luftgefüllte Kammern enthalten. Und sie sind beeindruckend groß, können über 2,4 m Flügelspannweite erreichen. Dies und ihre Wendigkeit im Flug nutzen sie, um anderen Vögeln im Flug deren Beute abspenstig zu machen, die sie dann im Sturzflug meist noch vor der Wasseroberfläche auffangen. Das machen sie nicht nur gerne z.B. mit den kleineren Tropikvögeln, das Verhalten ist sogar schon gegenüber Fischadlern beobachtet worden, mit denen sich sonst außer den Seeadlern kaum jemand anlegt. Und noch eine Besonderheit: Fregattvögel können in der Luft „schlafen“, bei einem gechipten Fregattvogel wurde von Wissenschaftlern eine Dauerflugzeit von 4 Monaten beobachtet.

So gesehen ist es schön, dass diese Prachtexemplare hier auf den Mangroveninseln im Norden der großen Lagune auf Barbuda ihr Vogel-Paradies haben, selbst wenn es vom Hurrikan Irma gerupft und zeitweise entlaubt wurde, es hat bisher jedenfalls weiter Bestand.

Einsamer Strand

So sieht’s aus. Low Bay, an der Westseite von Barbuda. Zumindest in Corona-Zeiten kann es Mitte Dezember passieren, dass sich kein anderes Schiff hierher an den wunderbaren, steil aus dem türkisfarbenen Wasser aufsteigenden feinsandigen Strand südlich der Lagunenpassage verirrt. Im Frühjahr hatten wir hier nördlich des Durchbruchs geankert, aber die halbverfallene und langsam ins Wasser abrutschende Hotelruine dort schlägt doch ein bisschen auf die Stimmung.

Am 6. September 2017 zog der Kategorie-5-Hurrikan “Irma” mit etwa 300 km/h genau über Barbuda, zerstörte 95 Prozent der Gebäude. Zudem riss er hier ein Loch in die schmale Nehrung, die die Codrington Lagune bis dahin nach Westen hin abschloss. Sämtliche Einwohner der Insel wurden damals nach Antigua evakuiert, viele kamen erst Monate später zurück auf die Insel (wenn überhaupt, noch nach einem halben Jahr war es weniger als ein Drittel der ursprünglichen Bewohner).

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Hurrikan der flachen Lagune einen zusätzlichen Meerwasserzugang verschafft. Und wie bisher immer, wird sich wohl auch diese Lücke irgendwann wieder auf natürliche Weise schließen. Derzeit ist aber die Passage mit flach gehenden Fischerbooten oder Dinghys möglich. Allerdings steht häufig eine konfuse Welle über dem größten Teil des Eingangs, es sieht in der Enge trotz sonst eher ruhigem Wetter auch heute durchaus beeindruckend aus:

Wir beschränken uns da lieber darauf, mit den Paddelboards auf die sogar mit ein paar Palmen bestandene Landzunge zu fahren und den Strand der Halbinsel zu erkunden, die karibischen Farben und die Blicke hinüber zu unserer Flora auszukosten.

Am Abend kommt dann die Escape an den Ankerplatz, mit Annemarie und Volker verbringen wir wieder mal einen schönen Abend, diesmal auf der Flora.

English Harbour mit der Drohne

English Harbour im Süden von Antigua ist einer der ikonischen Naturhäfen der Karibik. Sein hervorragender Schutz, auch als „Hurrican Hole“ in der Sommersaison, vor allem aber auch seine strategische Lage im Nordosten der Karibik machen ihn aus. Deshalb wählte ihn die englische Royal Navy als Seekriegshafen für die karibischen Operationen im 17. und 18. Jahrhundert und so erhielten die Buchten um den Ort Falmouth ihren Namen. Navy ist hier nicht mehr stationiert, aber die Sicherheit der Häfen zieht heute Yachten an, ebenso wie die Lage, die mit dem Nordostpassat im Rücken von hier aus quasi die gesamte Karibik erreichbar macht.

Was wir davon in COVID-Zeiten nutzen können bleibt abzuwarten, aber jedenfalls wäre es wohl seglerisch machbar.

Kleiner Nachteil: English Harbour ist zugleich Hauptort des Nelson’s Dockyard National Park, des größten Nationalparks von Antigua mit dem Unesco Weltkulturerbe „Nelson’s Dockyard“ mittendrin. Das selbst wäre wohl eher ein Vorteil, allerdings ist das Ein- oder Ausklarieren hier ist vor diesem Hintergrund automatisch mit besonderen (erhöhten) Gebühren verbunden.

Wunderschön ist es allerdings auch, insbesondere wenn wie jetzt nur vergleichsweise wenige Boote da sind und selbst der Ankerplatz der Freeman’s Bay gleich in der Einfahrt von English Harbour und unterhalb des oben auf der Klippe gelegenen historischen Aussichtspunkts Shirley Heights noch Platz genug bietet, um trotz der tückischen gegenläufigen Strömungen dem Nachbarlieger nicht zu nahe zu kommen. Die legendäre Sonntagsparty auf Shirley Heights mit Rumpunsch, Dark‘n Stormy (Rum mit Ginger Ale), Barbecue und Steeldrum Band findet derzeit covidbedingt allerdings nicht statt, auch wenn Bars und Restaurants hier sonst vor dem Hintergrund der guten Zahlen (aktuell nur 8 aktive Fälle) weitgehend geöffnet sind.

Diverse Salty Dawg Schiffe haben sich hier eingefunden, einige wenige werden noch erwartet, die ersten sind schon wieder zur Weiterreise aufgebrochen. Tatsächlich wäre es ohne die Salty Dawg noch immer extrem leer hier.

Wir werden wohl noch etwas bleiben, der Spibaum soll am Dienstag aus der Reparatur zurück sein. Mal sehen.

Derweil darf die Drohne mal wieder ran. Nicht nur für die Fotos, ein kleines Drohnen-Video über den Hafen habe ich hier eingestellt.

Think out of the box!

Wir haben das Ruder herumgeworfen und den Kurs neu abgesteckt.

Die Überfahrt zu den Bahamas wäre wohl möglich, allerdings mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von Winden über 35 kn in den Böen bei Ankunft. Machbar, aber dann nicht durch die Riffeinfahrten von Abaco nach Marsh Harbour, sondern etwas weiter südlich zur nächsten Insel Eleuthera, nach Spanish Wells.

Bloß, der Hurrikan Eta tobt sich nach der Vorhersage nicht bei seinem Landfall in Nicaragua völlig aus, sondern wandert wieder hinaus aufs Wasser, sammelt neue Kräfte und wendet sich dann Kuba zu. Aktuell sagt die Vorhersage zwar, dass ETA dann über Cuba hinweg in den Golf westlich von Florida und nicht westlich über die Bahamas geht, aber jedenfalls käme er den Bahamas unbehaglich nah.

Also vielleicht heute einfach nur ums Kap Hatteras herum und mit einem Übernachttörn nach Beaufort in North Carolina? Oder weiter an der Küste herunter nach Charleston oder Brunswick? Wäre ein gutes Wetterfenster dafür. Allerdings gibt es auf absehbare Zeit, mindestens mal in der nächsten Woche, kein Wetterfenster um von dort auf die Bahamas zu kommen. Außerdem würden wir uns auf den Hurrikan zu bewegen. Und letztlich auch blöd: unser Visum für die USA gilt nur bis zum 12. November (wie schnell doch ein halbes Jahr vergeht). Und ausklariert haben wir ja auch schon. Eine Zwickmühle?

Nicht unbedingt. Querdenken. Wir haben uns reichlich verproviantiert, das Schiff ist klar, die Strecktaue für die Offshorepassage befestigt, das Dinghy mit Fendern unter der Persenning aufgefüllt und verzurrt, der Außenborder am Heckkorb.

Gestern Abend nach dem neuesten Wetterbericht beschließen wir, einfach das Ziel neu zu definieren. Bahamas ist schwierig, aber das Wetterfenster passt gut für Antigua. O.k., da waren wir im Frühjahr gerade längere Zeit, aber erstens ist es toll dort, zweitens ist die Ausgangslage dort super, um mit dem Passat die großen Antillen zu besuchen und drittens haben wir vielleicht sogar die Chance, doch noch die British Virgin Islands zu besuchen, die ab 8.12. Wieder für Yachten aufmachen sollen. Dafür wären wir quasi in pole Position. Die Mehrheit der heute aufbrechenden Salty Dawg Schiffe hatte sowieso von Anfang an Antigua als Ziel, so wechseln wir einfach in diese Flottille.

Also los, statt 5 Tagen zu den Bahamas werden wir für die rund 1.640 sm nach Antigua eher 10 bis 12 Tage brauchen. Solange werden wir ab jetzt auch erstmal nicht erreichbar sein, dies ist der letzte Blogpost im US-Telefonnetz. Wir werden aber versuchen, zwischendurch reine Textblogbeiträge über Iridium-Satellit zu senden.

Auf geht’s, aus der Kälte (heute morgen unter 10 Grad) hoffentlich in die Wärme. Wir freuen uns.

Ihr könnt unsere Fahrt auf mit den Salty Dawg hier verfolgen. Durch Klick auf SDSA Fall Rally Tracks kommt ihr auf die Bootsliste und könnt dort auch die Flora anwählen und unsere jeweilige Position hervorheben. Das wird stündlich aktuell sein. Auf Noforeignland werden wir unere Position ein paar mal am Tag manuell aktualisieren (leider geht immer nur eins von beiden automatisch).

Wetterverschlechterung

Das schöne Spätsommerwetter ist erstmal vorbei. Auf unserer Fahrt vom Cuckold Creek zum Mill Creek etwas südlich der Mündung des Potomac hatten wir noch Sonne, allerdings keinen Wind. Am nächsten Tag können wir zwar die ganze Strecke bis nach Deltaville wunderbar segeln, das aber bei deutlich kälterem und regnerischen Wetter. Kein Problem, für irgendetwas muss das mitgeschleppte Ölzeug ja schließlich auch gut sein.

Blöder ist allerdings Zeta, der mittlerweile zum Hurrikan angewachsene 27. tropische Sturm des Jahres. Die 21 in alphabetischer Reihenfolge vergebenen Vornamen sind schon lange durch (Q, U, X, Y und Z werden nicht benutzt), seitdem werden die Stürme dieses Jahres mit den Buchstaben des griechischen Alphabets benannt. Nach Alpha, Beta, Gamma, Delta und Epsilon nun also der sechste Buchstabe: Zeta. Damit ist der Rekord aus dem Jahr 2005 eingestellt, weiter musste man (bisher) nicht. Hurrikan Zeta tobt jetzt zwar weit weg im Golf von Mexiko, aber nach dem voraussichtlichen Landfall bei New Orleans werden seine immer noch starken Überbleibsel uns wohl noch diese Woche hier in der Chesapeake Bay besuchen. Auf Windy sieht das in der Vorhersage so aus:

Es könnte also Windstärke 9 auf uns zukommen, da sollten wir gut geschützt liegen.

Und auch der eigentlich am 2. November geplante Absprung zu den Bahamas wird sich wie es aussieht wohl verschieben.

Aber Warten auf das richtige Wetterfenster gehört zum Langfahrtsegeln nun mal dazu und wir haben ja den Luxus, Zeit zu haben, auch noch etwas Luft bis unser US-Visum abläuft.

Und so ganz ungelegen kommt es uns gar nicht, die Abfahrt noch etwas hinauszuschieben, denn ganz vorbei ist die Hurrikansaison eben noch nicht und unsere Versicherung möchte uns ja auch erst ab Mitte November in den Bahamas sehen. 😊

Der ungewöhnliche Isaias

Isaias. Ungewöhnlicher Name. Erst recht für einen Hurrikan, denn ein solcher war Isaias (Kategorie 1) noch über den Bahamas, aber inzwischen hat er etwas an Kraft verloren und ist zum tropischen Sturm heruntergestuft. Vor allem aber hat Isaias eine ungewöhnliche Zugbahn.

Der Weg nach Florida war noch eher typisch, aber jetzt arbeitet sich Isaias langsam die ganze US-Ostküste hoch, vielleicht mit einem kleinen Landfall bei Myrtle Beach oder bei Kap Hatteras, nur um dann wieder Kraft auf dem offenen Meer zu tanken und weiter die Küstenlinie entlang zu ziehen. Bis nördlich von New York. Hm. Da sind wir.

Zuerst (vor einer Woche) schien die Vorhersage so ungewöhnlich, dass wir gedacht haben, das würde sich sicher noch ändern. Hat es aber nicht, die verschiedenen Modelle nähern sich immer mehr an und die ungewöhnliche Zugbahn bestätigt sich weiter.

Für uns heißt das, die wunderschöne aber weiter draußen und damit exponiert liegende Insel Block Island (für diese Gegend sind Wellen von 4 m Höhe vorhergesagt) etwas früher zu verlassen und ein Stück in die Narraganset Bay hinein zu segeln, dort sollte der Sturm weniger Kraft haben. Unser erster Ankerplatz bei Bristol ist zwar schön (insbesondere der kleine Ort), aber nach Süden zu offen. Nicht gut, denn Isaias soll hier vor allem starke Südwinde bringen.

Gemeinsam mit unserem alten Buddyboat, der Amalia (Steve und Helena), verholen wir 6 sm weiter nach Osten nach East Greenwich und ankern dort wunderschön vor einem Waldstück mit kleiner Steilküste und Sandstrand. Das Bojenfeld etwas näher vor dem Ort liegt in einem genau in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Creek und ist ziemlich eng gesteckt, da scheint uns unser Ankerplatz geschützter. Wir bauen unsere Solarpaneele und unser Bimini ab, ebenso alle jetzt überflüssigen Leinen wie Spischoten, Barberholer und die an den Spibäumen angeschlagenen Vor- und Achterholer. Selbst die Angeln verschwinden unter Deck. Steht unserer Flora eigentlich ganz gut 😊.

Hört sich übertrieben an? Na ja, die Wetterberichte zeigen, dass Isaias zwischendurch vermutlich nur etwa vier Knoten fehlen werden, um wieder zum Hurrikan hoch gestuft zu werden. Ob er sich daran hält? Außerdem ist er eben ungewöhnlich, da gehen wir um so mehr lieber auf auf Nummer sicher. Gerade bekommen wir eine NOAA-Wetterwarnung für die die Narragansett-Bay, also den tiefen Einschnitt bei Newport, in dem wir uns verkrochen haben: “Uncertanty in track, size and intensity: potential for wind 58-73 mph.” Windy sagt für unseren Standort “nur” etwa 43 kn an, was auch schon 9 Beaufort wären.

Das Gute: Isaias sollte schnell vorbeiziehen, nach ein paar Stunden durch sein. Und vermutlich wird er hier am späten Nachmittag kommen, also bei Tageslicht, und dann schon nach wenigen Stunden weitergezogen sein. Wir haben viel Platz, guten Ankergrund und gut 10fachen Scope (Verhältnis der ausgebrachten Ankerkette zur Wassertiefe).

Wir sind gespannt, aber eigentlich ganz zuversichtlich. Morgen wissen wir mehr.

Tag 3 Passage Bahamas USA

Wir sind heute Nachmittag nach 29 Stunden schönen Segelns und einer Stunde motoren durch die Riffpassage und über das leuchtend türkise 3 m – Flach hier an unserem Ankerplatz bei Marsh Harbour in den Abacos angekommen. Der Ankerplatz ist als solcher nicht in der Seekarte ausgewiesen, bei den eigentlich vorherschenden Ostwinden ist er ungeschützt, aber wegen der Nordost-Südwest-Ausrichtung der vorgelagerten Cays ist er einer der wenigen hier, die bei dem jetzt herrschenden Südwind guten Schutz bieten. Pittoresk geht anders, nicht nur weil mit Blick an Land und auch auf den Schrott unter Wasser überdeutlich ist, mit welcher Wucht und welchen Schäden der Hurrikan Dorian 2019 die nördlichen Bahamas verwüstet hat.


Es ist herzzerreißend.

Auf die Schönheit des Ankerplatzes kommt es uns allerdings auch deshalb nicht so an, weil es morgen schon weitergehen soll mit dem dann langen Schlag (690 sm kalkuliert) nach Norfolk am Eingang der Chesapeake Bay.
Da die Rollfock heute wieder ihrem Namen keine Ehre machte und sich nicht einrollen lassen wollte, haben wir die Rollreffleine gegen eine neue getauscht, die hoffentlich nicht wie die alte trotz vorsichtigstem Handling Kinken auf der Trommel der Furlex bildet. Der Test ist schon mal positiv verlaufen.
Das Wetterfenster für die Passage sieht ganz o.k. aus, einen Teil der Strecke werden wir wohl motoren müssen, aber dafür wird am berüchtigten Kap Hatteras kein widrig gegen den Golfstrom stehender Wind prognostiziert. Das wollen wir nutzen.

Dieser Blogpost wurde ursprünglich per Iridium-Satellit übermittelt, somit nur Text ohne Bilder. Die Bilder sind nach der Passage nachträglich eingefügt.

Der Plan ist, keinen Plan zu haben.

Eine Planung ist ja die gedankliche Vorwegnahme von Handlungsschritten in Bezug auf ein Ziel. Man wägt Handlungsalternativen gegeneinander ab und fragt sich, wie man am besten das dem eigenen Gestaltungswunsch entsprechende Ziel erreicht. Oder simpler: was möchte man, was geht, wie geht’s?

Corona hat weltweit dafür gesorgt hat, dass bisherige Planungen (Reisepläne allemal, aber auch wesentlich wichtigere, manchmal gar existenzielle Dinge) durch den gedanklichen Schredder liefen. Gefühlt vor langer Zeit, tatsächlich aber ist die Bedrohung durch die Covid-19-Erkrankung überwiegend erst ab Anfang diesen Monats langsam in das Bewusstsein der meisten Menschen der westlichen Welt gesickert.

Nun gehört es ja zum Wesen jeder Planung, dass es eben auch anders kommen kann. Dann muss man die Planung überarbeiten, einen geänderten Plan machen. Handlungsalternativen neu bewerten. Allerdings: welche Handlungsalternativen? Die mittlere der simplen Fragen, “Was geht?” ist in Corona-Zeiten jedenfalls für die nähere Zukunft nicht einfach zu beantworten.

Für die Crew der Flora und für die meisten Segler hier in der Karibik ist die Begrenzung “nähere Zukunft” verknüpft mit dem Beginn der Hurrikansaison. Die ursprüngliche Planung sah dafür fast durchgehend vor, aus dem Hurrikangebiet herausgesegelt zu sein. Nach Norden an die US-Ostküste (unser Plan), nach Süden (je nach Versicherungsbedingungen Grenada, Trinidad, Kolumbien oder gar Surinam), nach Osten über den Atlantik zurück Richtung Europa oder nach Westen durch den Panamakanal in den Pazifik, letzteres dann idealerweise schon ein paar Monate früher.

Offiziell beginnt die Hurrikansaison am 01. Juni und endet am 30. November. Unsere Versicherung hat eine Ausschlussklausel für Sturmschäden im Hurrikangebiet in der Zeit vom 01. Juli bis 15. November. Und tatsächlich treten Hurrikans in der Karibik typischerweise erst ab Juli auf. Blöderweise zeigen sie keine allzu große Neigung, sich an Regeln zu halten, 2016 etwa hat sich Hurrikan Alex Mitte Januar (!) über die Bermudas und die Azoren hergemacht. Davon abgesehen waren die jeweils ersten Hurrikans der letzten fünf Saisons: Danny ab 18.08.2015, Earl ab 02.08.2016, Franklin ab 07.08.2017, Beryl ab 05.07.2018 und Berry ab 11.07.2019. Statistisch hätten wir also noch etwa drei Monate Zeit. Etwas komplizierter wird es noch dadurch, dass 2020 ein “El Niño”-Jahr erwartet wird, was das Wettergeschehen nochmals durcheinander bringt, im Nordatlantik allerdings eher etwas geringere Sturmneigung erhoffen lässt. Nebenbei bemerkt: die Namen beginnen in jedem Jahr mit A und arbeiten sich dann im Alphabet weiter, die Anfangsbuchstaben der ersten Hurrikans der Jahre zeigen also, dass jeweils vorher schon benannte tropische Stürme auftraten. Die haben aber eben nicht Hurrikanstärke erreicht, wir möchten ihnen aber trotzdem mit dem Boot nicht begegnen.

Gleichwohl: schauen wir bei uns selbst zurück, beschäftigt uns Corona etwa seit einem Monat und hat in dieser Zeit Veränderungen mit sich gebracht, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Wie sollen wir jetzt die Veränderungen der nächsten drei Monate abschätzen?

Bei einem Treffen von Blauwasserseglern wird typischerweise zunächst nach dem gegenseitigen “woher” und “wohin” gefragt. Man kann Erfahrungen austauschen, vielleicht gemeinsame Pläne schmieden. Manchmal bekamen wir auf unsere Fragen auch wunderschöne offene Antworten wie “Wohin der Wind uns treibt, wir sind ja Zeitmillionär.” Oder fast philosophische wie “Unser Plan ist, keinen Plan zu haben.”

Derzeit bewirkt die Corona-Krise, dass von allen Reiseplänen nur der Plan keinen Plan zu haben ziemlich gut aufgeht. 😉

Das lässt sich in der Praxis aber nur schwer aushalten, wenn es nicht mehr darum geht, aus den vielen Optionen spontan die günstigste zu wählen sondern wirklich PLANLOS darauf zu warten, dass sich (bis zum Beginn der Hurrikansaison) irgendeine Option auftut.

Vielleicht ist so auch zu erklären, dass aus der Zurückseglergruppe Wünsche geäußert wurden, die ein großes Presseecho in Deutschland ausgelöst haben und deshalb auch zu besorgten Rückfragen bei uns geführt hat, bei den Adressaten, bei uns und auch bei vielen anderen Seglern aber Befremden auslösen. Der überzogene Wunsch einer Begleitfregatte der Bundesmarine für den Rückweg über den Atlantik nach Europa erweist den seemännisch sehr viel einsichtigeren Forderungen nach dem Einsatz für Planungssicherheit ermöglichende offene Nothäfen und Quarantänestege bzw. Quarantäne-Ankerbuchten aus unserer Sicht einen Bärendienst. In der Gruppe befinden sich neben geplanten Atlantikrunde-Seglern auch Crews von Booten, für die ursprünglich andere Pläne galten, die sich selbst nicht optimal aufgestellt sehen und die damit verständlicherweise ein höheres Maß an Planbarkeit für nötig erachten.

Für uns auf der Flora ist die Rückreise im Convoy über den Atlantik derzeit keine Option. Mindestens mal für die nächsten zwei Monate versuchen wir die Nichtplanbarkeit zu akzeptieren und hinsichtlich der Weiterfahrt planlos zu sein.

Solange es uns möglich ist, wollen wir hier auf Antigua genießen, was bei diesen Umständen genossen werden darf und relativ sicher genossen werden kann. Unser Boot, unseren Ankerplatz, die Strände, auch gelegentliche abstandswahrende Treffen mit anderen Seglern im kleinen Kreis. Wir sind froh, dass das hier bisher noch erlaubt ist. Allerdings ist gerade verkündet worden, dass ab Donnerstag Mitternacht (erst mal für eine Woche) eine komplette Ausgangssperre erfolgen soll. Details (z.B. darf man einkaufen gehen?) sind noch unklar.

Uns hat es jedenfalls vorgestern ermöglicht, mit Steve und Helena von der Amalia einen schönen Spaziergang um Pearns Point herum und über die leeren Nordstrände zum dortigen “Blowhole” zu machen, durch das die Brandung meterhohe Fontänen presst.

Und wenn wir jetzt verstärkt auf uns und unser Boot zurückgeworfen sind, lässt sich das trotzdem vergleichsweise gut aushalten (glauben wir zumindest). So sieht’s aus:

Wir wünschen allen die mit Covid-19 infiziert oder sonst krank sind einen milden Verlauf und allen anderen: bleibt gesund!