Darum Hafen: Port Hardy

Vom Miles Inlet hinüber nach Port Hardy im Nordosten von Vancouver Island ist es eine reine Nebelfahrt, das zähe Zeug will sich einfach nicht auflösen. Einmal mehr sind wir sehr dankbar für das Radar und die elektronische Navigation. Und trotzdem froh, als sich endlich das Leuchtfeuer in der Hardy Bay aus dem Dunst schält.

Ein Stückchen weiter sollte eigentlich das Public Dock liegen. Wir sehen nur eine Nebelwand, tasten uns heran, aber … außer gelben Bojen erspähen wir nichts. Dann tauchen die Umrisse der Port Hardy Government Warf auf und ein Angler ruft uns zu, dass es dieses Public Dock nicht mehr gibt.

O.k., also weiter um das Flach und den nächsten kleinen Leuchtturm herum zur Port Hardy Fisherman‘s Warf, die hat ebenfalls ein Public Dock. Es gibt auch noch eine Marina, in der wir ebenfalls festmachen könnten, aber dort liegen fast nur kleine Angelboote. Da gefällt uns das Miteinander mit den mittelgroßen und kleineren Fischerbooten in Fisherman‘s Warf besser. Es ist belebter und darüber hinaus ein Miteinander, wie es hier in Pacific Northwest noch häufig vorkommt. Früher – vor unserer Seglerzeit – muss es so auch in den Häfen etwa der Ostsee und des Mittelmeeres ausgesehen haben. Aber mit der immer größer werdenden Flotte der Sportboote (Motor- und Segel-) und der sich dafür entwickelnden Vereinshäfen und Marinas bei gleichzeitigem Niedergang der regionalen Fischerei ist es dort viel seltener geworden. Hier im Norden von BC, ebenso wie in Alaska aber sind diese gemischten Häfen mit deutlich mehr Fischern als Sportbooten noch der Normalfall. Weiter im Süden, näher an den großen Städten wie Vancouver und Seattle, finden sich dann auch deutlich mehr Marinas.

Warum sind wir überhaupt im Hafen und nicht vor Anker? Zum einen wollen mal wieder einkaufen. Und außerdem steht ein Ölwechsel beim Volvo an und den mache ich aus mehreren Gründen lieber im Hafen. Ich kann dann das Altöl und die alten Filter gleich vorschriftsmäßig entsorgen und muss es nicht mitschleppen, könnte im Zweifel neues Öl kaufen (wir haben aber noch genug dabei) und habe bessere Möglichkeiten, falls sich irgendwas Unerwartetes zeigt.

Und das tut es natürlich! Der Ölwechsel klappt zwar wunderbar (wie geschmiert), aber beim ebenfalls fälligen Wechsel des Impellers der Seewasserpumpe (bei unserem Boot bäuchlings auf dem Motorblock liegend kopfüber zu erledigen) gibts eine unangenehme Überraschung. drei von vier Schrauben des Deckels sehen normal aus, bei der vierten fehlt der Schraubenkopf. Grrr. Daran bin ich komplett unschuldig, den letzten Impellerwechsel hat der Volvo-Mechaniker bei der großen Inspektion in Herrington im letzten Herbst durchgeführt. 😇 Die Schraube selbst ist noch drin, aber Salzspuren zeigen, dass sich einzelne Tropfen Seewasser ihren Weg gesucht haben. Ausbohren kann ich die Schraube dort so nicht ohne weiteres. Eventuell würde ich den Deckel abbekommen, aber die Pumpe und ihre Dichtungsflächen dort zu reinigen wird wohl nichts. Also die Seewasserpumpe ausbauen, was ziemlich problemlos gelingt. Nur die Schläuche wollen nach jetzt 2.300 Stunden an ihrem Platz mit etwas Nachdruck überredet werden, die Pumpe jetzt mal loszulassen.

Die Pumpe selbst tut es noch, ist aber ein Teil, das auf Langfahrt typischerweise häufiger mal Probleme bereitet. Wir haben deshalb eine Ersatzpumpe dabei und da sie jetzt ohnehin ausgebaut ist entscheide ich, lieber gleich die Ersatzpumpe einzubauen und das Original dann als künftigen Notersatz aufzuarbeiten.

Dafür muss allerdings das Mitnehmerrad des Originals auf die Ersatzpumpe umgebaut werden. Versucht man die Mutter zu lösen, dreht das Rad mit. Einspannen möchte ich es nicht, um es nicht zu beschädigen. Aber mit dem Ölfilterschlüssel festgehalten funktioniert es.

Nur: das Rad ist auf einen konischen Zapfen aufgepresst und lässt sich trotzdem nicht lösen. Man bräuchte einen Abzieher. Unsere Segelfreunde Tereza und Jakub auf der Kate Marie leihen uns ihren, den sie für den Impellerwechsel benutzen, aber er ist etwas zu klein. Gut, das wir im Hafen in einem Ort sind, ich kann einen passenden Abzieher kaufen und der Job ist damit dann schnell erledigt.

Noch etwas schneller wäre es gegangen, wenn ich beim (Überkopf-)Einbau nicht erst mal die O-Ring-Dichtung eingeklemmt hätte. 😞 Aber immerhin, auch dafür findet sich noch passender Ersatz. 😅

Heute bleiben wir noch hier liegen, erledigen den Rest Wäsche (die 6. Maschine!) in der Laundry (Münzwäscherei) gleich am Hafen, backen leckeren Hefe-Pflaumenkuchen mit Walnuss-Streuseln. Sehr lecker! Und heute Abend gibt’s Nudeln mit Brokkoli und Hähnchen-Pilz-Sahnesoße. So ein Frische-Einkauf hat seine Vorteile, jetzt sind wir wieder fürs Ankern in der Wildnis gerüstet.

😁😋

Nebel, Narrows, Fury und die Ottershow

Der Regen ist erst mal durch, die Wolken haben sich verzogen. Die Nächte sind wieder sternenklar – in der ersten Nachthälfte. Ab Mitternacht bildet sich dann aber meist Nebel über dem warmen Pazifikwasser. Am späten Vormittag löst er sich wieder auf.

Macht nichts, von der Pruth Bay sind es nur etwa 20 Meilen bis zu unserem nächsten Ankerplatz. Wir haben die Fury Cove ausgewählt, weil sie strategisch günstig für den Absprung zur Passage um das Cape Caution liegt.

Die Fury Cove liegt noch eben östlich von Calvert Island. Südlich davon ist die geschützte Inside Passage insoweit unterbrochen, als eben das Stück bis Vancouver Island keinen Inselschutz gegen den Pazifikschwell und die entsprechenden Windsysteme bietet, dafür aber starke Tidenströme und eine Vielzahl von Untiefen: Cape Caution (wörtlich übersetzt: Kap Vorsicht/Warnung/Achtung) trägt seinen Namen zu Recht.

Fury Cove hat eine etwas verwinkelte, schmale Einfahrt durch ein Inselgewirr. „Entering … for the first time can be a hair-raising experience“ schreibt der Douglas (Törnführer). Aber bei dem ruhigen Wetter ist es wenig dramatisch. Und obwohl die Bucht zwei (nicht befahrbare) Öffnungen nach Westen hat, bleibt der Schwell wunderbarerweise draußen, der Ankerplatz ist ruhig wie ein Ententeich, obwohl sich draußen die Wellen krachend an den Felsen brechen.

Überhaupt ist Fury ein toller Ankerplatz. Mit dem Dinghy setzen wir zu einem der in die Felsen eingebetteten Sandstrände über und können die größere Insel Fury Island auf einem Trampelpfad durchs Inselinnere erkunden. Auch hier ist die Hochwasserlinie der Küste wieder voller Treibholz.

Und der Abendblick aus dem „Küchenfenster“:

Am nächsten Morgen das gleiche Spiel: Nebel. Gegen 10.00 Uhr fahren wir los und scheinen ihn hinter uns zu lassen. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht, immer wieder machen sich Nebelbänke breit, wir sind froh über das Radar. Auch Cape Caution schaut nur zum Teil aus dem Nebel.

Wir entscheiden uns, heute nicht bis Port Hardy durchzugehen, sondern noch einen Ankerstop im Miles Inlet einzulegen. Prompt reißt der Nebel komplett auf und wir können die schmale Gasse zum Ankerplatz bei strahlendem Sonnenschein durchfahren. Die Skizze im Törnführen warnt vor einer Flachstelle in der Durchfahrt mit nur einem Faden Tiefe (die amerikanischen und kanadischen Papier-Seekarten und auch der Törnführer verwenden hier wie auch in Alaska durchgängig die für uns sonst eher ungewohnte Maßeinheit Faden). Das wären nur rund 1,8 Meter, aber wir haben fast Hochwasser bei rund drei Metern Tidenhub. Die Navionics-Karte gibt an der flachsten Stelle 4,6 m an (plus Tide). Tatsächlich haben wir mindestens 7,6 m, das passt also mit Navionics und wir könnten mit Floras 2 m Tiefgang zur Not auch bei Niedrigwasser auslaufen.

Das schmale Miles Inlet bietet ein paar Besonderheiten. So ankern wir praktisch mitten auf einer Kreuzung. Ein kleines Stück in die beiden Seitenarme hinein wäre Ankern auch noch möglich, aber der Schwoiraum ist dann doch sehr begrenzt.

Die zweite Besonderheit: auch wenn es zunächst aussieht, als würde es noch ein Stückchen weiter gehen, sollte man Erkundungstouren nur mit dem Dinghy oder Kanu unternehmen und zeitlich gut planen.

Was sich nämlich bei Hochwasser noch so präsentiert…

… sieht bei ablaufendem Wasser noch vor Niedrigwasser schon so aus:

Wir können den kleinen Wasserfall jetzt von unserem Ankerplatz aus sehen und hören, unsere Dinghy-Erkundungstour im südlichen Arm des Miles Inlet endet nach einem 90 Grad Knick ebenfalls vor einem beeindruckenden Tiden-Wasserfall. Und doch sind die Rapids hier im Miles Inlet nur eine kleine Fingerübung der Natur (*). Knapp dreieinhalb Meile nordöstlich liegen die Nakwakto Rapids, in der Seekarte mit einem „⚠️“ versehen, sie gehören zu den kräftigsten Tidenstromschnellen der Welt. Bis zu 14 kn Geschwindigkeit erreichen die Wassermassen dort bei Flut, bei Ebbe werden es sogar bis zu 16 kn. Die Tuburlenzen und Eddies werden als „extremly hazardous“ beschrieben. Und doch: bei Stillwasser, egal ob hoch oder niedrig, sollen sie problemlos von Yachten passiert werden können, die beiden möglichen Routen sind selbst bei Niedrigwasser noch 10 bzw. 16 m tief.. Dann ist der Weg frei in die beiden großen, hinter der kurzen Schmalstelle der Nakwakto Rapids liegenden Fjorde Seymour Inlet und Belize Inlet. Aber das heben wir uns auf für ein andermal, vielleicht.

Zwar ankern wir auch im Miles Inlet (wie an den letzten Ankerplätzen auch) als einziges Boot, allein sind wir aber trotzdem nicht. Ein großer Seeotter dreht den ganzen Nachmittag völlig entspannt rückenschwimmend seine Runden um die Flora, döst treibend in unserer Nähe und verschwindet nur kurzfristig mal, um sich einen Krebs als Snack zu holen. Was für eine wunderbare Show:

(*) … oder des Planetendesigners Slartibartfaß. Wer statt unseres Douglass-Törnführers lieber Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ oder die anderen vier Bände von dessen „fünfbändiger Triologie“, insbesondere den dritten Band „Das Leben, das Universum und der ganze Rest“ liest, kennt ihn sicherlich. Ich musste jedenfalls sowohl in Alaska als auch hier in BC öfter an ihn und seine Liebe zu den von ihm designten Fjorden („die einem Kontinent ein schönes barockes Flair verleihen“) denken.

😊

Grau oder Schwarz-Weiß

Von der wunderschönen und farbintensiven Codville Lagoon fahren wir bei schlechter werdendem Wetter 15 Meilen weiter nach Süden. Es wird grau. Die Seekarte zeigt “Namu Harbour”, aber der Törnführer hält desillusionierendes bereit: Namu ist ein Ruinenort, sogar vollständig “off limit” – darf also nicht betreten werden. Wie Butedale weiter im Norden war Namu ein prosperierender Ort, bis die große und vordem sehr erfolgreiche Cannery dicht machte, wurde danach verlassen und dem Verfall preisgegeben. Hier wie dort scheiterten verschiedene Versuche der Revitalisierung. Inzwischen taugen die zusammenbrechenden und ins Meer rutschenden Gebäude nur noch als traurige Mahnung. Goldgräberzeiten (auch unternehmerische) haben hier an der abgelegenen pazifischen Nordwestküste immer auch Glücksritter angezogen. Für sie gab es nur schwarz oder weiß: war das Geld (erst Pelze, dann Gold/Lachs/Bodenschätze/Holz) nicht mehr leicht zu machen, zogen sie halt weiter. Die zurückbleibenden Ruinen würde die Natur schon schnell wieder unsichtbar machen. In Teilen stimmt das, hier in Namu wird es aber wohl noch etwas dauern.

Das Rock Inlet eben nördlich von Namu führt mit einem schmalen Fahrwasser zu einem guten, 11 m tiefen Ankerplatz. Die vielen kleinen baumbestandenen Felseninseln im Inlet verbergen gnädig den Blick auf die zerfallenden Gebäude und schirmen uns zugleich vor dem Schwell ab, der mit dem aufkommenden Südostwind schnell steile und hackige Wellen im breiten Fitz Hugh Sound aufgebaut hat. Auf der Fahrt hierher hat erstmals seit langem unser Windgenerator mal wieder maßgebliches zu unserem Energiehaushalt beigesteuert, hier drinnen aber schafft es das Lüftchen kaum, seine Flügel überhaupt zu bewegen.

Grauer Himmel, Wolkenfetzen hängen in den Bergen, als wir uns am nächsten Morgen Richtung Calvert Island aufmachen, die den Fitz Hugh Sound vom offenen Pazifik trennt. Vormittags soll es eine Windpause geben, danach folgen nach der Prognose einige Tage mit kräftigem Südwind. Die wollen wir in der Pruth Bay abwettern. Gut geschützt und zugleich mit der Möglichkeit, Spaziergänge und Hikes an die Pazifikküste zu machen.

Die Pruth Bay beherbergt in dieser sonst menschenleeren Gegend das Hakai Institute, eine Forschungsstation, die sich mit der Langzeitentwicklung der Küstenregion zwischen Pazifik und Regenwald in den letzten 15.000 Jahren beschäftigt. Freundlicherweise sind Besucher willkommen, dürfen ihr Dinghy am Dock (mit Miniatur-Bull-Rails) festmachen und die Wege in der „Hakai Lúxvbálís Conservancy Area“ benutzen.

Machen wir gleich. Zum West Beach ist es ein bequemer Waldspaziergang durch ungewohnt flaches Gelände. Der Strand selbst macht dann seinem Namen alle Ehre. Feiner, heller Sand zieht sich jetzt bei Ebbe weit hinaus. Was aber noch viel mehr beeindruckt: oberhalb des Spülsaumes liegt Treibholz in rauen Mengen. Riesige Baumstämme, Wurzelwerk, Äste und Baumstümpfe sind durcheinandergeworfen und ineinander verhakt angespült. Sicher sind auch verlorene Stämme von Flößen der Holzindustrie und vereinzelt Balken dabei, der Großteil aber scheinen ins Meer gespülte Bäume und ihre abgebrochenen Einzelteile zu sein. Wund geschlagen, entrindet, die Oberflächen von der Brandung geschmirgelt zu einer Mischung aus Glätte und Rauheit, wie nur altes Treibholz aufzuweisen scheint.

Die vorgelagerten Schären, die die Bucht bei dem jetzigen Südwind ruhig erscheine lassen, halten den Pazifik bei Westwind offenbar nicht davon ab, die gigantischen Hölzer hoch hinauf auf die Küste zu werfen.

Auch am North Beach, dem wir noch am gleichen Tag nach einem schönen Hike durch den Wald entlang des sumpfigen Hood Lakes besuchen, sieht es genauso aus.

Am nächsten Tag dann eine längere Tour: vom West Beach aus führt ein Trail über die Kliffs und durch die Wälder zu weiteren Stränden. Die Himmelsrichtungen sind wohl ausgegangen, die Strände sind einfach nummeriert. Wir arbeitendes vom ersten bis zum siebten Strand vor, wobei uns die Tide allerdings den Zugang zu Nummer 5 und Nummer 6 verwehrt.

Auch ein Abstecher zum hoch gelegenen Lookout ist drin, von dort geht der Blick über die vorgelagerten Schären auf das heute ziemlich aufgewühlte Meer und zum diesigen Horizont. Es ist spannend, wie sehr die Landschaft und auch der Wald auf den nur vier Kilometern (hin und zurück 8 km) variiert. Hochmoor oben auf dem Lookout Hill, der Wald mal dicht, mal licht. Zwischen zwei Stränden mit hohem Farn, um die nächste Klippe herum und zwischen den beiden nächsten Stränden dagegen dichtes Buschwerk mit dunklen Beeren (Salal?) als Unterholz.

Was aber immer gleich bleibt: über und über Treibholz auf den Stränden. Wir haben täglich Treibholz gesehen (in BC deutlich mehr als in Alaska), sind ihm mit der Flora ausgewichen. Manchmal ist es leicht zu erkennen, etwa wenn es die „kanadischen Möven durch Daraufstellen höflich markieren“, wie es Bill so wunderbar ausgedrückt hat. Oder wenn noch Äste oder Wurzeln daran aufragen. Manchmal aber – insbesondere bei Welle oder Gegenlicht – sind sie nur schwer auszumachen. Ganz besonders betrifft das die gefürchteten „Deadheads“, vollgesogen Baumstämme, die senkrecht im Wasser treiben und mit den Wellen nur auf und nieder hüpfen oder sich gar in flacherem Wasser in den Grund gebohrt haben. Wir waren bisher schon vorsichtig, aber die schiere Menge am Treibholz mahnt uns zu künftig noch größerer Aufmerksamkeit.

Wir sind früh aufgebrochen, denn ab Mittag sollten laut Wetterbericht Wind und Regen einsetzen. Aber unser ausdauerndes „Beachcombing“, dauert lange. Wir studieren neben dem Treibholz auch verschiedenen Arten Kelp, das schimmernde Perlmutt der Austern, die anderen Muscheln und Steine, Plastikmüll findet sich dagegen erstaunlicherweise kaum. Nur eine Flasche und ein größeres Plastikteil sammeln wir ein und legen es auf die eingerichtete Sammelstelle.

Ab 13.00 Uhr zeigt sich dann, dass Wettervorhersagen doch nicht nur Horoskope mit Zahlen sind. Der Regenwald trägt seinen ersten Namensteil nicht zu Unrecht und wir beeilen uns, zum Boot zurück zu kommen.

Malerisches BC

British Columbia verwöhnt uns weiter mit einigen richtig schönen, sonnigen Spätsommertagen. Fast immer sind wir das einzige Boot in der Ankerbucht. So auch in der Fancy Cove, obwohl sie recht nah an New Bella Bella liegt, der einzigen Ortschaft in diesem Abschnitt der Inside Passage südlich von Klemtu.

Am nächsten Tag ist es dann nur ein kleiner Hüpfer von 5 Meilen durch die Lama Passage und quer über den Fisher Channel bis zur Lagoon Bay. So können wir die Ankunft dort gut timen und darauf kommt es uns an. Wie der Name andeutet liegt hier eine größere Bucht, die nur über eine enge und flache Einfahrt zugänglich ist. Das bedeutet eben auch, dass das Wasser der gesamten Bucht bei Ebbe und Flut durch den Flaschenhals des schmalen Zu- und Abflusses muss und entsprechende Strömung aufweisen kann, also am besten um Stillwasser herum zu passieren ist. Die Codville Lagoon wartet zwar nicht mit dem Türkisblau auf, was man vielleicht mit Lagunen verbindet, wohl aber mit einem wunderschönen Ankerplatz auf für hiesige Verhältnisse flachen 15 Metern Wassertiefe in einer der vielen kleinen Buchten der Lagune. Der Clou: ein ausgeschilderter Wanderweg hier mitten in der Wildnis, der zu einem Süßwassersee oberhalb der Lagune führt. Einmal mehr leistet unser “Anchor Buddy” gute Dienste und zieht unser Dinghy nach dem An-Land-Gehen aus der Tidenzone heraus in das tiefere Wasser.

Der Trail führt herrlich über buchstäblich Stock und Stein durch den Regenwald. Zum ersten Mal kommen unsere noch in Alaska gekauften Teleskop-Wanderstöcke zum Einsatz (und bewähren sich). Der See überrascht dann mit einem langen hellen Sandstrand, für diese Gegend eigentlich völlig ungewöhnlich.

Unsere Segelfreunde Tereza und Jakub hatten uns berichtet, dass sie in dem See schwimmen waren. Etwas ungläubig haben wir vorsichtshalber unsere Badesachen eingepackt und – tatsächlich – die Temperatur in dem recht klaren, aber durch die Holzteile im Wasser und am Grund rotbraunen Wasser ist nach den sonnigen Tagen annehmbar, wir baden hier wirklich. Windstill und sonnig wie es ist, schließen wir noch einen ausgiebigen Strandspaziergang an. Barfuß im Sand hatten wir zuletzt länger nicht mehr.

Einiges an verwittertem Schwemmholz liegt hoch auf dem Sandstrand, darunter auch der massige Rest einer riesigen Zeder einschließlich Wurzelstumpf. Die Maserungen und Holzverläufe der Wurzel sind ein einziges die Phantasie anregendes Kunstwerk. Nach Wolkentieren im Passat und Eisskulpturen in Alaska finden wir jetzt hier im schon grau gewordenen Holz Figuren oder gar Abbildungen von Wasserstrudeln. Dann wieder scheint es, als könnten sich Edvard Munch oder Vincent van Gogh hier die Anregung für ihre Pinselführung abgeholt haben.

Die nächsten Tage wird wohl mal wieder eine Front durchziehen, das sonnige Wetter macht also dann Pause, aber bisher können wir uns echt nicht beklagen. Und bevor das Grau kommt, legt Mutter Natur mit der Abendsonne noch mal ordentlich Farbe auf:

Klemtu: von Geister-Bären und Klassiker-Gänsen

(Einen) Schwarzbären haben wir ja jetzt gesehen, aber Klemtu bietet uns die Chance auf eine extrem seltene Unterart: den Spirit Bear, also Geister-Bär. Genau genommen ist Klemtu nicht der einzige Ort, an dem diese Tiere gesichtet werden können, die Chance ist ohnehin nicht gut, allerdings besser als anderswo.

Denn der Spirit Bear ist ein weißer Schwarzbär. Hört sich seltsam an und ist es auch, denn diese Unterart des amerikanischen Schwarzbären gibt es tatsächlich mit weißem oder cremefarbenem Fell. Keine Albinos, sondern eine natürliche Genmutation, die diese nur hier vorkommende Unterart (Kermodebär) von den anderen Schwarzbären unterscheidet. Selbst innerhalb der Unterart sind zumeist 90 Prozent der Bären schwarz. Auf einigen wenigen Inseln aber sind fast ein Drittel der Kermodebären hell, so auf Gribbel Island und eben auf Swindle Island, wo Klemtu liegt. Der Ort ist eine First Nation Gemeinde, eine der größeren. Etwa 500 Kitasoo und Xai’xais leben hier. In ihrer Mythologie hat der Schöpfer einen von zehn Schwarzbären weiß gemacht, um an die (gar nicht so weit zurück liegende) Zeit zu erinnern, in der Gletscher das Land bedeckten. Die Menschen sollen dankbar dafür sein, es nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass stattdessen nunmehr Bäume und andere Pflanzen das Land bedecken und die dazwischen liegenden Wasser befahrbar und fischreich sind.

Am öffentlichen Steg in Klemtu können wir kostenlos festmachen. Die “bull rail”, an der auch hier statt Klampen die Leinen festgemacht werden, hat zwar schon bessere Tage gesehen, aber der Steg selbst ist in Ordnung. Ein Obmann der Gemeinde spricht uns beim Landgang an, erklärt uns, wie die Bewohner versuchen, selbstständig zu bleiben und gleichzeitig nachhaltig zu wirtschaften, in der Forstwirtschaft, mit den gemeindeeigenen Lachsfarmen ebenso wie der Hatchery (Wildlachsaufzuchtstation) und auch besonderen Regeln beim Fischen. Für uns bedeutet das, keinen Krebskorb ausbringen zu dürfen, angeln ist aber erlaubt. Wir erfahren auch, dass auf UKW-Kanal 6 der allgemeine Dorffunk läuft und wir dort George Robinson anfunken sollen, wenn wir das Long House von innen besichtigen möchten. Probieren wir, erreichen ihn aber leider nicht. Von außen ist es schon mal imposant:

Das Wasserflugzeug ist übrigens eine Grumman Goose G21A, ein Flugboot, das auf dem Wasser und auch auf normalen Landebahnen aufsetzen und auch starten kann. Von 1937 bis 1944 insgesamt 345 mal gebaut ist es ein echter Klassiker und hier immer noch im normalen Betrieb, wie Wasserflugzeuge überhaupt ein ganz übliches und auch notwendiges Verkehrsmittel in BC (und auch in Alaska) sind.

Bei unserem Landgang sehen wir dann zwar Spirit Bears, aber leider nur auf den Abbildungen, die in dem Örtchen die (bärensicheren) Mülleimer zieren. Die Erinnerung an Bewusstheit und Nachhaltigkeit findet also ihre Fortsetzung.

Selbst auf unserem ausgedehnten Hike hinauf durch das Hochmoor und den Wald bis hin zum weit über Klemtu liegenden Süßwassersee sehen wir keine Bären. Ist aber auch kein Wunder, wir machen vor unübersichtlichen Stellen absichtlich ordentlich Lärm und rufen den Bären zu, dass wir gleich um die Ecke kommen.

😊

Trotz der wenigen Touristen (es gibt nach unserer Kenntnis nur eine Lodge und wir sind das einzige Gastboot im Hafen) sind die Trails aufwändig angelegt. Bohlen, Holzscheite und Baumscheiben machen das Hochmoor gut begehbar, auch wenn die Baumscheiben beim Schwereren von uns beiden mit schmatzendem Geräusch bis fast zum Rand einsinken, obwohl es daneben fast trocken aussieht.

Der weitere Weg durch den Regenwald zum See ist dann noch deutlich rutschiger, manchmal im Bachbett verlaufend und zwischendurch auch abenteuerlich, an den steilen Stellen ist das Halteseil unerlässlich. Aber es lohnt sich:

Im Ort finden wir (wenn auch nur durch Nachfragen) einen gut ausgestatteten Supermarkt, wobei wir das Glück haben, dass am Tag unserer Ankunft die große BC-Fähre am örtlichen Terminal angelegt und die neue Lieferung mitgebracht hat.

Supermarkt in Klemtu. Das Tor rechts ist der Eingang 🤔

Nach zwei Nächten am Steg verholen wir eine knappe Meile weiter in die herrliche Ankerbucht eben südlich des Ortes.

Liegt nicht nur wunderbar idyllisch, sondern beschert uns auch gleich Angelglück, ein stattlicher Coho-Lachs geht uns an den (widerhakenlosen) Haken. Für das Abendessen ist also gesorgt und wer weiß, vielleicht zeigt sich am Waldrand im Lachsbach ja noch ein echter Geister-Bär.

Ganz viel Landschaft

Es klappt mit dem Tankstop in Hartley Bay. Zwingend notwendig wäre es nicht, der Tank ist erst etwa halb leer. Aber vor uns liegt einiges an Strecke durch die wild verzweigten Fjorde um den nördlichen Teil der Inside Passage in British Columbia. Zwischen Hartley Bay und Port Hardy auf Vancouver Island liegen zwar noch zwei weitere Tankmöglichkeiten (Klemtu und New Bella Bella), aber bei beiden warnt der Törnführer, dass eine vorherige Anfrage hinsichtlich der tatsächlichen Verfügbarkeit angeraten sei. Zudem wissen wir nicht, wie viel wir in den zum Teil engen Fjorden segeln können bzw. motoren müssen.

Und außerdem wollen wir auch noch ein paar Umwege oder Abstecher machen, den ersten gleich im Anschluss. Statt Whale Channel und MC Kay Reach Richtung Südosten schwenken wir im Zickzack erst einmal in die Verney Passage 13 Seemeilen wieder nach Norden, dann den Ursula Channel (liebe Grüße, Uschi) wieder nach Süden und kurz darauf wieder nördlich in die Bishop Bay. Der Grund dafür: die Bishop Bay Hot Springs. Zweimal haben wir ja in Alaska bereits die heißen Quellen zum Baden benutzt (White Sulphur Springs und Warm Springs Baranof). An der Küste British Columbias sind neun Standorte zugänglicher heißer Quellen verzeichnet. Mal mit, mal ohne Badehaus und mit Temperaturen zwischen 39 und 59 Grad Celsius. Die Quelle in Hot Spring Island auf Haida Gwai erreichte sogar 60 Grad, war aber nach dem Erdbeben 2012 zeitweise versiegt und ist seitdem kühler.

In den Bishop Bay Hot Springs sind es angenehme 40 Grad. ☺️

Der Ankerplatz in Bishop Bay ist etwas tricky, der Fjord ist bis 400 m tief und steigt zum Ufer hin entsprechend sehr steil an. Ankern mit Heckleine zum Land ist angeraten, es gibt aber auch eine öffentliche Mooring und einen kleinen Schwimmsteg. Wir haben doppelt Glück, die Mooring ist frei und als wir näher kommen, verholt das kleine Motorboot am Steg ein Stück nach vorn, damit wir hinter ihm anlegen können.

Hier, irgendwo im nirgendwo, mit ein paar Hundert Quadratkilometern drumherum ohne menschliche Siedlung, steht ein Badehaus. Zu erreichen vom eigens angelegten Steg über einen kurzen Bohlenweg. Jippie!

Wir nutzen das Bad gleich zweimal. Einmal am ersten Abend und ein zweites Mal am nächsten Morgen, nachdem wir gelesen haben, dass im äußeren Becken Shampoo benutzt werden darf. Ganz nebenbei: während wir uns im warmen Wasser aalen, können wir nicht nur unser Boot am Steg sehen, sondern auch einige Buckelwalen in der Bucht beobachten.

Auch als wir später den Ankerplatz verlassen, sehen wir dicht am Ufer ihren Blas und ihre Fluken.

Unser nächstes Ziel ist Butedale, gut 20 sm den Fraser Reach hinunter. Die ehemalige Cannery soll einen Anlegesteg haben. Die Angaben im Törnführer und in den Community Edits auf Navionics sind nicht sehr vielversprechend, aber Michelle hatte uns in Hoonah den Stop hier empfohlen. Tatsächlich haben wir den Ponton, an dem mindestens vier Schiffe Platz fänden, ganz für uns allein.

Obwohl an Land alles völlig verfallen ist, zieht uns die Location sofort in ihren Bann. Schon bei der Anfahrt passieren wir einen beeindruckenden Wasserfall. Die Bucht mit ihrem sanft ansteigenden Gelände und den dahinter liegenden hohen bewaldeten Bergen sieht malerisch aus. Wir träumen uns zurecht, wie idyllisch Butedale aussehen würde, wenn jemand (mit allerdings gewaltigem Aufwand) die maroden Gebäude in Schuss bringen und den angehäuften Schrott beseitigen würde. Da sind wir sicher nicht die einzigen, aber der Investor, der das Ensemble vor einigen Jahren erwarb, hat bisher jedenfalls nicht allzu viel seiner ambitionierten Pläne umgesetzt und der zwischenzeitlich wohl dort lebende “Caretaker” scheint nicht mehr dort zu sein. Trotzdem, was für ein wundervolles Stückchen Erde.

Immerhin, vom Boot am Steg aus fange ich eine Scholle, eine weitere hatten wir schon unterwegs bei einem kurzen Angelstop an Bord gezogen. Es gibt Schollenfilets in Maismehlkruste mit Backofenkartoffeln und Orangen-Krautsalat.

Heute Morgen fahren wir zeitig weiter, gut 40 sm sind es bis nach Klemtu. Der zunächst noch bedeckte Himmel reißt auf und beschert uns einen traumhaften Segeltag. Ja, SEGEL-Tag. Der achterliche Wind variiert zwar in der Stärke, aber er bleibt uns den ganzen Tag treu und schiebt uns – durch die Fjorde kanalisiert – immer hübsch voran.

Und so gleiten wir heute ohne Motorengedröhn durch eine Landschaft, die vor Hunderten von Jahren wohl auch nicht anders ausgesehen hat. Steile Hänge, dicht bewaldet mit Tannen und Zedern, blanker grauer Granit oberhalb der Baumgrenze. Die gestaffelten Bergrücken changieren von einem satten dunklen Grün in der Nähe zu dunstig hellerem und immer bläulicherem Ton in der Ferne.

Immer wieder freuen wir uns an einem Blas, dem Rücken oder der Fluke von Walen. Fast den ganzen Tag sehen wir tatsächlich nicht ein einziges Haus, keine Stromleitungen, keine Straßen, keine Mobilfunknasten. Erst kurz vor Klemtu zwei Hütten, die auf Flößen montiert eine Lachsfarm markieren. Unsere erste überhaupt, denn in Alaska sind Lachsfarmen ja verboten, anders als hier in Kanada.

Das erste “echte” Haus dann kurz darauf, der 1907 eingeweihte und gut erhaltene Leuchtturm “Boat Bluff” an der Südspitze von Sarah Island mit seinen Nebengebäuden, der noch heute mit Leuchtturmwärter bemannt ist.

Das gibt’s noch, genauso wie die scheinbar unberührte Naturlandschaft auf den 40 sm davor!

Morgennebel

Es wird etwas kälter, die Nachttemperaturen sinken jetzt bei klarem Nachthimmel in den einstelligen Bereich. Weil das Pazifikwasser aber immer noch 12 Grad warm ist, haben wir morgens jetzt häufiger Nebel.

Bleiben wir halt ein bisschen länger in der Koje und fahren etwas später los, wenn die Sonne den Nebel aufgelöst hat. So funktioniert das an unserem ersten Ankerplatz in BC, Kelp Passage Cove:

Drei Krebse sind am Morgen in unserem Krebskorb, allerdings: einer zu klein, die beiden anderen sind Weibchen. Also kein Krebsschmaus diesmal. Von Kelp Passage Cove aus haben wir dafür dann aber einen wunderherrlichen Segeltag, können bei achterlichem Wind sogar den Gennaker wieder setzen.

Unser Ziel am nächsten Tag ist das Kumealon Inlet, am nördlichen Ende des Grenville Channels. Im hinteren Teil dieses Inlets, abgeschirmt durch kleine Inselchen, findet sich ein wunderbar geschützter Ankerplatz. Mit dem Dinghy oder einem Kajak könnte man von hier aus auch durch die Narrows in die Kumealon Lagune fahren. Allerdings müsste man die Zeit genau abpassen, denn die Narrows sind nur um Stillwasser herum passierbar. Dieses kleine Abenteuer hatten wir in Warm Springs in Alaska schon einmal (erfolgreich) ausprobiert, wo der Zugang zur Lagune sich bei Niedrigwasser sogar in einen Wasserfall verwandelt. Hier in Kumealon sind aber die Entfernungen um einiges größer und so bleiben wir diesmal auf der Flora und erkunden die Umgebung nur mit der Drohne, genießen den sonnigen Tag an Bord. Wiebke backt leckere Erdnusskekse 😋, ich versuche mich erfolglos beim Angeln.

In der Abenddämmerung können wir mit dem Fernglas am Waldrand unseren ersten Schwarzbären beobachten, der ein paar mal zwischen den Bäumen und dem felsigen Tidenbereich hin und her pendelt.

Am nächsten Morgen ist die Welt wieder in weiße Watte gepackt, okay. Was aber dann beim verschlafenen Blick aus dem Fenster doch irritiert: schwimmen da etwa Eisbrocken um uns herum?

Kann doch nicht sein, hier gibt’s keine Tiden-Gletscher. Ein paar Mal geblinzelt, die Gedanken sortiert. Das muss Schaum sein, oder? Ein deutliches Zeichen, wie kräftig das Wasser aus der höher gelegenen Lagune durch die Narrows sprudelt.

Ganz langsam kommt die Sonne durch, verzaubert mit dem sich lichtenden Nebel die ohnehin schon beeindruckende Szenerie und beleuchtet die Doppelbilder auf dem von keinem Windhauch berührten spiegelglatten Wasser.

Diesmal warten wir nicht, bis sich der Nebel ganz auflöst. Der Tidenstrom im hier mit teilweise nur 350 m sehr engen Grenville Channel kann bis zu 6 kn erreichen, da müssen wir die richtige Strömungsrichtung abpassen. Insofern tasten wir uns unter Radar auf unserem alten Track aus der Bucht, müssen aber feststellen, dass sich der Nebel im Kanal noch etwas dichter gehalten hat. Nur auf Radar und AIS sehen wir, dass uns zwei Boote mit bis zu 26 kn entgegenkommen. Zu Augen bekommen werden wir sie nicht, nur hören. Diese Geschwindigkeit bei weniger als 50 m Sicht finden wir um so erstaunlicher, als hier im Kanal doch erschreckend viel großes Treibholz unterwegs ist, zum Teil auch bei guter Sicht nicht ganz einfach zu erkennen. Selbst als sich der Nebel endlich verzogen hat, müssen wir dem mehrfach ausweichen und die felsige Uferböschung sieht am Rande der Tidenzone teilweise aus wie ein Lagerplatz für Baumstämme.

Kurz vor unserem Tagesziel überholt uns ein Kreuzfahrer und biegt ebenfalls in das Lowe-Inlet ab.

Die “National Geographic Venture” ist allerdings eines der kleineren Kreuzfahrtschiffe und ankert zudem im vorderen Teil der Bucht, während wir noch um Pike Point herumgehen und im inneren Nettle Basin in der Nähe des Wasserfalls ankern. Bei Hochwasser arbeiten sich Lachse die etwa 5 m hohen Stromschnellen an seiner Seite hinauf, bei Niedrigwasser haben sie keine Chance, denn die Fallhöhe hat sich verdoppelt.

Zum zweiten Mal hintereinander bringen wir fast unsere gesamte Kettenlänge aus (wir fahren 100 m Kette), denn wie schon in Kumealon ankern wir auch hier bei etwa 25 m Wassertiefe (und zusätzlich 6 m Tide). Es gibt genug Schwoiraum zum Herumschwingen, aber durch die starke Strömung vom Wasserfall bewegen wir uns ohnehin kaum. Es soll einen Trail entlang der Wasserfälle hoch zum See geben, aber trotz intensiver Suche finden wir weder den Einstieg noch eine (bei der herrschenden Tide) geeignete Stelle zum an Land gehen. Dann eben Kaffee und frisch gebackener Blaubeerkuchen im Cockpit.

Als ich morgens den ausgebrachten Krebskorb einhole, taucht dicht neben dem Dinghy mehrfach ein Seehund auf und scheint mich mitleidig interessiert zu beobachten. Tatsächlich ist außer Seegras nichts drin, sicherlich am falschen Platz ausgebracht. Was die Robbe vielleicht weiß, für mich aber in dem undurchsichtig dunklen Wasser nicht zu erkennen war. Na gut.

Für uns geht es heute morgen (diesmal ohne Nebel, die Nacht war bewölkt) weiter durch das Labyrinth der fjordähnlichen Wasserstraßen von British Columbia. Die Navionics-Seekarte zeigt, dass sich hinter den mit Regenwald bestandenen und von Bächen und Flüssen durchzogenen Bergen auch noch unzählige Seen verbergen was für eine Landschaft!

Erst noch den fast geraden Grenville Channel hinunter und dann soll es mit einigen Windungen hinüber nach Bishop Bay gehen. Rund 40 sm motoren, denn es ist fast kein Wind. Eventuell halten wir zwischendurch in Hartley Bay zum Tanken und können dort mit Mobilfunknetz diesen Beitrag bebildert rausschicken.

😊

P.S: For the English speaking readers: Google translate usually does a great job. Still, the headline should be Morning mist or Morning fog, not Morning crab.

Crabby mist, misty crab. 😂

Angekommen in Kanada.

Fühlt sich schon seltsam an, VON NORDEN HER nach Kanada eingereist zu sein. 😊

Andererseits: schon bei der Anfahrt nach Prince Rupert kommen auch Heimaterinnerungen auf. Die wie Legosteine doppelstöckig auf Eisenbahnwaggons aufgereihten Container säumen das Ufer an Steuerbord, darunter einige von Hamburg-Süd und Hapag-Lloyd. Und auch die großen, weithin sichtbaren Containerbrücken erinnern ein kleines bisschen an unsere Heimatstadt an der Elbe.

Und vielleicht hätte sich Prince Rupert tatsächlich zu einem ähnlich großen Handelsplatz entwickelt. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts standen die Zeichen jedenfalls gut dafür. Der Hafen von Prince Rupert ist tief, im Fahrwasser durchgängig fast 40 m! Das ist nicht nur wesentlich tiefer als die Elbe in Hamburg selbst nach der Elbvertiefung sondern auch ziemlich konkurrenzlos an der Westküste Amerikas. Zum Vergleich: Los Angeles bietet gut 16 m, Seattle nur knapp 11m. Zudem ist die Strecke von und nach China wesentlich kürzer. Das brachte Charles Hays, den Vorstandsvorsitzenden der “Grand Trunk Pacific Railway” auf die Idee, neben der bestehenden Eisenbahnlinie nach Vancouver eine transkontinentalen Strecke nach Prince Rupert zu bauen (das 1907 extra dafür gegründet wurde) und den Ort zum “Metropolis des Nordens” und dominanten nordpazifischen Warenumschlagplatz auszubauen. Hays trieb das Projekt vehement voran. Aber: er starb beim Untergang der Titanic 1912 auf der Rückreise von einem Fundraising-Trip für diese von ihm als “Neue Seidenstraße” vorgestellte Infrastruktur. Mit dem Tod Hays fehlte der visionäre Antreiber, dazu kam der erste Weltkrieg, das Projekt wurde nicht mehr mit voller Kraft vorangetrieben und endete 1916 in einer Pleite.

Heute hat Prince Rupert 12.000 Einwohner, ist per Eisenbahn und Straße angebunden und hat einen Flughafen. Der Tiefwasserhafen ist nicht unbedeutend, bietet Containerbrücken und große Verladestellen für Getreide und Kohle, ist aber weit von der Vision des Charles Hays entfernt.

Das Einklarieren ist entgegen der Bedenken und Vorkehrungen (z.B. keine Eier etc. einführen) völlig unkompliziert. In der ArriveCan-App kann 72 Stunden vor der Einreise der Ort und ungefähre Zeitpunkt der Ankunft eingetragen werden, Pass- und Impfdaten können schon vorher hochgeladen und gespeichert werden. Haben wir gemacht. Nach dem Festmachen am Steg in Prince Rupert dann ein Anruf bei “Customs”, ein paar Fragen beantworten. Dann gibt der Officer uns eine Nummer durch, die wir aufschreiben und hinter die Cockpitscheibe legen sollen. “Falls Sie kontrolliert werden, das ist Ihre Report-Nummer. Damit weisen Sie nach, dass Sie korrekt eingereist sind.” Das war’s. O.k, dann kriegen wir wohl keinen Stempel im Pass.

Der Hafen ist rappelvoll, wir quetschen uns längsseits in eine Lücke, in die wir nach Abmontieren des Bugspriets gerade so eben hineinpassen, wenn wir mit dem Bug nah am Schwimmsteg festmachen und mit dem Heck etwas weiter weg und damit leicht schräg vor dem Päckchen hinter uns liegen. Na ja, immerhin klappt das Manöver auf Anhieb. Freizeitboote sind übrigens klar in der Minderzahl gegenüber den Fischern.

Über sechseinhalb Meter beträgt der Tidenhub, da wird der Aufgang vom Schwimmsteg schon ziemlich steil.

Der vordere (leere) Teil des Hafens darf nur zum Be- und Entladen angefahren werden

Da müssen wir aber hoch, schließlich wollen wir die Stadt nochmal nutzen.

Wir gehen ins Kino (Top Gun), kaufen eine kanadische SIM-Karte fürs Handy, außerdem die in Kanada für das Lachsangeln vorgeschrieben Angelhaken ohne Widerhaken. Machen einen tollen Spaziergang auf einer stillgelegten alten Bahnstrecke am Wasser entlang nördlich des Hafens aber mit zum Teil spektakulären neuen Brücken. Besuchen die örtliche Mikro-Brauerei.

Außerdem müssen wir Lebensmittel bunkern, die nächsten Wochen wird es dazu wohl nicht allzu viel Gelegenheit geben. Der nördliche Teil der Küstenregion von British Columbia weist noch weniger Ortschaften auf als das südliche Alaska, es warten einsame Ankerbuchten.

Und dahin segeln wir jetzt. Heute sogar mal unter Gennaker.

😎

Alaska – Eindrücke aus zwei Monaten

Was war unsere Erwartung an Alaska?

Richtig konkret war es nicht, eher ein diffuses Gefühl von Abenteuer in einer vom Mensch noch nicht völlig veränderten, „zivilisierten“ Welt, am Rande der gewöhnlichen Komfortzone, abseits der kleinen Ortschaften „out in the wild“. Vielleicht: Kalt. Natur pur. Hoffentlich: Bären. Wale. Eis.

Kalt stimmt nur bedingt. Wir hatten fast durchgehend zweistellige Temperaturen auch nachts, tagsüber meist so um 15 Grad Celsius. Nur in Gletschernähe war es dann doch kälter. Was wir gar nicht so richtig auf dem Schirm hatten: die trotzdem oft herrlich klare „Winterluft“, der intensive Nadelwaldgeruch, die krasse Gebirgslandschaft, die unzähligen Wasserfälle.

Und die Menschen: wundervolle Begegnungen mit den wenigen anderen Cruisern, freundliche, offene und hilfsbereite Alaskaner (wo immer wir welche trafen).

Die heißen Quellen, die Beeren, das Angeln und Krebsfischen. Navigatorisch die Narrows und die starken Tidenströme, die großen trockenfallenden Bereiche vieler Ankerbuchten, das mystisch leuchtende Eis bei den kalbenden Gletschern.

Die Naturerlebnisse waren traumhaft. Bären, Wale, so nah und so beeindruckend. Der tägliche Weißkopfseeadler, Seeotter, Lachse. Die Wanderungen durch den von Moosen überwucherten Regenwald, ja, auch Regen und Nebel. Die Freude über blauen Himmel, der sich eben nicht jeden Morgen wie selbstverständlich beim ersten Blick durch das Decksluk zeigt. Die unfassbare Stille am Ankerplatz, wenn kein Windhauch auch nur Katzenpfötchen auf die Spiegelungen im Wasser malt.

Klitzekleiner Wermutstropfen: segeln war nur selten möglich, wir haben einige Motorstunden angesammelt. Aber wie zur Versöhnung gab es heute auf dem Törn von unserem Ankerplatz in der Foggy Bay über den Dixon Entrance ins kanadische Prince Rupert den ganzen Tag Segelwetter vom Feinsten.

Alaska hat uns beschenkt auch mit ein bisschen Zurückgeworfensein auf uns selbst, wie wir es sonst eher von längeren Passagen kennen. Kombiniert mit ganz vielen „zum ersten Mal“-Erlebnissen und wunderbaren Begegnungen. Eine Quintessenz dessen, was uns am Reisen so gefällt.

😊

Ketchikan und der Lachs in Alaska

Es ist soweit. Nach ungefähr zwei Monaten in Alaska laufen wir Ketchikan an, die südlichste Stadt in Alaska und damit der Ort, in dem wir aus den USA ausklarieren werden.

Ketchikan leitet sich her von Kichxáan oder auch Keech Ka Xa haan, dem ursprünglichen Namen des Ortes in Tlingit-Sprache, es bedeutet etwa “Flügel ausgebreitet darüber“.

Die monumentale Zedernholz-Schnitzerei “Thundering Wings” erinnert an die Herkunft des Ortsnamens.

Heute breitet sich eher der Kreuzfahrt-Tourismus über dem Ort aus als die Adlerflügel, drei größere Kreuzfahrtschiffe liegen gleichzeitig am Kai und die Zahl ihrer Passagiere reicht wohl an die der 8.000 Einwohner heran.

Das führt neben unzähligen “Jewelry“-Geschäften und Souvenirshops auch zu einer lebendigen Café-, Restaurant- und Kneipenlandschaft in dem Städtchen. Und es hat auch dazu bewirkt, dass diverse historische Häuser im alten Stadtkern erhalten und – je nach Lage – mehr oder weniger restauriert wurden, so wie hier im ehemaligen Rotlichtviertel mit seinen Boardwalks über dem Wasser …

oder etwas weniger zentral gelegen entlang der Promenade und den Hang hinauf:

Und natürlich machen es auch erst die vielen Touristen möglich, mehrere Museen zu unterhalten, wie etwa das sehr sehenswerte Totem Heritage Center, in dem anschaulich der kulturelle Hintergrund dieser für Alaskas Ureinwohner so ikonischen geschnitzten Pfähle und auch das strukturell sehr unterschiedliche Design der Totems in den verschiedenen Regionen erklärt wird.

Gleich neben dem Totem Heritage Center befindet sich die Deer Mountain Hatchery. Eine schöne Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Grüßt vor dem Eingang des Heritage Center doch ein Totem, das “Raven and Fog Woman” darstellt und an die Legende erinnert, wie der für die Ureinwohner und auch die Entwicklung Alaskas so wichtige Lachs in die Welt kam. Die Hatchery (eine von 29 in Alaska) ist eine Art Geburtsklinik und Kindergarten für (Wild-)Lachse. Anders als in Lachsfarmen wird hier nicht der Fisch für kommerzielle Zwecke gezüchtet, sondern ein Teil der Eier der lokalen Lachspopulation werden für die kritische erste Lebensphase in einem geschützten Habitat aufgezogen und dann in die Freiheit entlassen. Die erwachsenen Lachse kehren dann zum Laichen aus dem Meer den Fluss hinauf zur Hatchery zurück und sorgen für Nachschub.

Mitte der 70er Jahre wurden die ersten Hatcheries eingerichtet, seit 2010 machen die erwachsenen Lachse aus diesen Aufzuchtstationen zwischen 30 und knapp 50 Prozent der alaskaweit gefangenen Wildlachse aus.

Lachsfarmen sind in Alaska verboten 🚫.

Wenn man es nicht selbst erlebt hat, kann man sich die schiere Menge der Wildlachse in den Flüssen und Bächen Alaskas nicht vorstellen. Ohne Superlative geht’s ja in Amerika nicht: Ketchikan nennt sich selbst nicht nur “Alaska’s 1st City” (weil von Süden kommend erste Stadt), sondern auch “Salmon Capital of the World”.

Und jetzt zur Wanderzeit der Lachse sieht der Ketchikan Creek so aus:

Das ist eine etwas ruhigere, flussaufwärts gelegene Stelle, an der sich die Lachse für die weitere Reise ausruhen. Warum? Um hierher zu gelangen, müssen die Lachse erst einmal die Stromschnellen überwinden. Nicht ganz einfach:

Das irgendwie romantische Bild der Lachse bekommt aber einen ziemlichen Dämpfer, wenn man sich die Lachse kurz vor ihrem Ziel ansieht, den Laichgründen auf den zumeist höher gelegenen Kieselsteinbetten der Flüsse.

Die anstrengende Reise hat Spuren hinterlassen, die Fische wirken ziemlich ramponiert. Außerdem hat die Natur für die pazifischen Lachse (anders als die atlantischen) vorgesehen, dass sie diese Reise nur einmal antreten. Sobald sie das Salzwasser verlassen und die Flüsse hinaufziehen, hören sie auf zu fressen. Ihr Körper verändert sich massiv, wechselt die Farbe. Die vormals silbrigen Fische bekommen teils grünliche Köpfe und teils leuchtend rote oder Flanken (Sockeye und Coho), werden oliv (King/Chinook und Chum/Keta) oder stumpf grau mit cremefarbenem Bauch (Pink Salmon/Humpy). Der Kopf verändert die Form, das Maul bekommt einen verbogenen Oberkiefer mit Überbiss und herausstehenden Zähnen. Die Humpy-Männchen entwickeln zudem den namensgebenden auffälligen Buckel. Selbst die Schuppen werden zurückgebildet und weichen einer eher ledrigen Haut, der Lachs verzehrt sich buchstäblich selbst. Und nach Eiablage bzw. Besamung stirbt er. Alles in allem sehen die Lachse aus der Nähe betrachtet in diesem letzten Abschnitt ihres Lebens schon ein bisschen wie Fisch-Zombies aus:

Hier ein kurzes Video dazu, aufgenommen mit der GoPro in einem Bach direkt an unserem Hafen. Gefangen werden die Lachse in diesem Stadium nicht mehr (außer von den Bären), Geschmack und Textur des Fleisches haben sich nämlich auch verändert. Die leckeren Lachsfilets stammen also nicht von den “Zombies”.

😉