Ocean Falls, am Ende des Cousins Inlet gelegen, ist eine Geisterstadt. Der Törnführer Wagooner empfiehlt sie trotzdem als “favorite destination”, es sei eine “busy ghost town”. Mal sehen.
Die Fahrt den Fisher Channel hinauf nach Norden ist jedenfalls wunderschön, zumal uns anfangs auch günstiger Segelwind beschert wird.

Unter Gennaker zieht Flora den halben Tag lang den Fjord hinauf, dann allerdings lässt der Wind immer mehr nach, dafür nehmen die Wolken zu.
Die Einfahrt in das viel schmalere Cousins Inlet mit seinen steilen Bergwänden wirkt dann schon ein bisschen wie der Seeweg nach Mordor, als wollten wir zum Schicksalsberg im Herrn der Ringe.


Aber nicht die Ring-Geister Nazgûl erwarten uns, sondern ein gut gepflegtes Public Dock und ein versöhnlich stimmender Regenbogen.



Der abendliche Gang führt uns durch die Geisterstadt Ocean Falls und am Staudamm (mit Überlauf-Wasserfall) vorbei zum oberhalb der Ruinenstadt gelegenen großen Süßwassersee.

Geisterstadt und Staudamm zur Stromerzeugung, wie passt das überhaupt zusammen?
Ocean Falls steht exemplarisch für viele Ortschaften in abgelegen Küstenabschnitten der Region Pacific Northwest. Sie entwickelten sich um Arbeit gebende Fabriken herum, oft Lachsverarbeitungsanlagen / Canneries, Minen oder – wie hier – Holzverarbeitung. Solange, wie diese eben existieren. Ocean Falls war sogar eine echte “Company Town”. Von 1906 bis 1912 wurde hier eine Papier- und Zellstoff-Fabrik errichtet, lange Jahre die größte in ganz British Columbia. Der Grund für die Ansiedlung war neben den scheinbar unerschöpflichen Holzvorräten der Gegend das Potential an durch Wasserkraft zu gewinnendem elektronischem Strom für die energieintensive Produktion. In der Abgeschiedenheit errichtete die Firma gleich eine ganze Stadt einschließlich der Arbeitersiedlung, Schulen, Krankenhaus und später sogar einem 400-Zimmer-Hotel, bis zu 3.900 Menschen lebten hier.
1973 aber schloss das Unternehmen die inzwischen unrentabel gewordene Fabrik. Die Provinzverwaltung kaufte der Firma Crown-Zellerbach die Stadt für einen symbolischen Preis ab und betrieb die Fabrik noch bis 1980 weiter, aber das hielt den Niedergang zur Geisterstadt nur kurzfristig auf.
Der Staudamm und mit ihm die Stromproduktion durch Turbinen aber existiert noch. Zwar ist die Anlage nicht an das große kanadische Stromnetz angeschlossen, aber neben Ocean Falls werden auch die beiden etwa 35 km Luftlinie entfernt liegenden Ortschaften Bella Bella und Shearwater mit zusammen gut 1.000 Einwohnern nur mit Strom aus dieser Anlage versorgt.
Welche Kapriolen es nach sich zieht, wenn derartig überschießende Produktionskapazitäten für Strom vorhanden sind, aber keine Einspeisung in ein überregionales Netz erfolgen kann: in Ocean Falls hat sich ein Bitcoin-Mining-Unternehmen angesiedelt, das mit dem aus der Überkapazität günstig erhältlichen Strom auf ihrer Rechnerfarm Blöcke zur Blockchain hinzufügt und so Kryptowährung “schürft”.
Trotzdem: knapp über 20 Einwohner hat Ocean Falls heute und sieht dabei so aus, wie eine Geisterstadt aus dem letzten Jahrhundert wohl aussehen muss:





Fast noch intakt und eher wildromantisch wirken da die historischen Holzhäuser am Hafen:



Damals wie heute: die Einwohner von Ocean Falls bezeichnen sich selbst als „Rain People“, was wohl ein ziemlich bezeichnendes Licht auf die Niederschlagshäufigkeit vor Ort wirft, die Wolken bleiben an den umgebenden hohen Bergen schlichtweg hängen.


Das gilt auch für den etwas abseits liegenden Nebenort Martin Valley, in dem noch mehrere Einfamilienhäuser bewohnt sind und in Schuss gehalten werden. Wir wandern in einer Regenpause dort hin (der versprochene Pub ist allerdings derzeit nach Eigentümerwechsel geschlossen). Und auf dem Rückweg erwischt uns natürlich der wieder einsetzende Regen.

Aber da hinten, am Eingang des Fjords, da wird es doch etwas heller. Ob da die Lichtelben wohnen?Jedenfalls fahren wir morgen in diese Richtung.
