Was man in Alaska braucht, Teil II 😉

Neben dem Bärenspray gibt es noch ein Accessoire, ohne das hier in Alaska kaum jemand unterwegs zu sein scheint. Um nicht sofort als Touristen erkannt zu werden, mussten wir es uns UNBEDINGT sofort anschaffen: Gummistiefel! Aber nicht etwa irgendwelche. Braun müssen sie offenbar sein, mit beigefarbener Sohlenkante. Xtra Tuf. Abgesehen davon sind alle Varianten erlaubt: kurz, halblang oder hoch geschnitten, gefüttert oder einfach, mit eingearbeiteter Stahlkappe als Arbeitsschuh, Neopreneinsatz oder buntem Innendruck, der beim Umkrempeln zu sehen ist. Bootsausrüster, Angelladen oder Schuhgeschäft, jeder führt sie. Wie auf unserer bisherigen Reise vom Dinghy aus barfuß auf den Strand oder ins knietiefe Wasser zu springen dürfte sich hier in Alaska wohl verbieten und unsere kurzen Seestiefel sind da auch nicht die erste Wahl, insofern fällt die Kaufentscheidung leicht.

Wie weit dieser Stiefel verbreitet, wie eng er mit Alaska verbunden ist, das zeigt sich zum Beispiel auch an den immer noch verbreiteten COVID-Abstandsanzeigern auf dem Fußboden etwa an der Museumskasse oder in der Brauereikneipe und Pizzeria:

Als wir mit Liselotte und Machiel in der von außen ziemlich unscheinbaren „Pioneer Bar“ auf ein Bier einkehren, finden wir den Tresen fast durchgängig von Leuten mit eben dieser Fußbekleidung besetzt. Mit John kommen wir gleich ins Gespräch, na klar, das muss so, ist Arbeitsbekleidung, jetzt nach der Arbeit ist der Stiefelschaft umgekrempelt, so geht es sich leichter. John ist Langleinenfischer mit eigenem Boot, macht den Job seit 23 Jahren, die Hälfte seines Lebens. Er erzählt uns viel über die Fischerei hier, die verschiedenen Fangmethoden, den unterschiedlich ausgerüsteten Fangschiffen, mit deren Bildern die Wände der Bar dicht an dicht bedeckt sind.

Er liebt seinen Beruf, die Landschaft, die Natur. Nur auf die Pottwale ist er nicht gut zu sprechen, sie klauen ihm die Fische von seinen Leinen. Er kann das auf dem Fischfinder-Echolot verfolgen, aber machen kann er nichts dagegen. Wenn die Pottwale kommen, kann er den gefangenen Heilbutt und Black Cod (Kohlenfisch) gleich wieder abschreiben.

Bei unserer heutigen Wanderung auf dem „Sitka Cross Trail“ kommen unsere neuen Gummistiefel dann auch gleich zum Einsatz und bewähren sich mit ihrem Fußbett und der festen Sohle richtig gut. Dazu passend trägt der Wanderer in Alaska heute Ölzeug, der nordische Regenwald hält, was der Name verspricht. Da sieht sogar der tägliche Weißkopfseeadler ziemlich bedröppelt aus:

Der Wald aber ist wieder einmal beeindruckend. Unser Wanderweg führt parallel zum Ort ein bisschen hügelauf und hügelab, ohne sich in größere Höhen zu winden. Das ist gut so, denn gleich über uns hängen die Wolken so dicht, dass es sonst eine Nebelwanderung würde.

So aber können wir bei leichtem Tröpfeln neben dem intensiven Waldgeruch auch die Schönheit des bemoosten Urwalds bewundern und sogar ein paar herrliche Ausblicke genießen.

An vielen Stellen ist der Weg von Himbeer- und Lachsbeerbüschen gesäumt und so wird es eine ziemlich langsame Schlemmerwanderung. Lachsbeeren (Salmonberry) sind eng mit den Himbeeren verwandt, aber farblich variantenreicher von Gelb über Orange bis Rot, etwas größer und wasserreicher, schmecken auch etwas anders. Wir finden sie lecker.

Sie sind an der ganzen Westküste von Südalaska bis Kalifornien verbreitet, ihren Namen haben sie übrigens davon, dass die Ureinwohner sie gerne mit Lachs essen.

Müssen wir dringend mal ausprobieren.

Sitka, Totems, Adler und Raben. Und: was man in Alaska braucht …

… aber bisher nicht auf unserer Ausrüstungsliste stand ist auf alle Fälle “Bärenspray”. Haben wir also ergänzt. Im Grunde ist der Helfer in Form eines kleinen Feuerlöschers 🧯 nichts anderes als Pfefferspray, das allerdings gut 10 m weit sprüht und selbst Grizzlybären in die Flucht schlagen soll. Das möchten wir natürlich gar nicht ausprobieren und die weitere Empfehlung, bei Wanderungen durch den Wald zu singen oder sich laut zu unterhalten (vor allen an nicht einsehbaren Ecken) ist sicherlich auch bärenfreundlicher. Eigentlich stehen wir nämlich nicht auf der Speisekarte der bis zu knapp 700 kg schweren Pelztiere, die dem Menschen gegenüber eher scheu sind. Trotzdem, wenn sie überrascht werden, Jungtiere bei sich haben oder sich beim Fressen gestört fühlen kann es schon zu Angriffen kommen. Sehen würden wir die Bären nur allzu gerne und wir haben gelesen, dass dies vom Wasser aus am besten möglich ist. Wasserseitig fürchten sie keine Gefahr und zeigen daher weniger Fluchtreflexe. Passt doch.

Das Spray ist ab jetzt bei Wanderungen dabei. Baranof Island, die Insel auf der Sitka liegt, hat nämlich mit die höchste Bärendichte weltweit. Auf eine Quadratmeile soll hier ein Bär kommen.

Da sehen die öffentlichen Mülltonnen dann schon mal so aus und haben einen tatzensicheren Verschluss:

Also ist das Spray am Gürtel, als wir unseren ersten längeren Spaziergang machen. Zunächst geht es durch den Ort Sitka hindurch. Das Zentrum ist erwartungsgemäß überschaubar, einige wenige Straßen vom Totem Square aus rund um die russisch-orthodoxe Kirche St. Michael.

Die Kirche wirkt wie eines der letzten Überbleibsel der russischen Zeit, vor der Verkauf Alaskas an die USA 1867. Allerdings: das Original der Kathedrale (denn Sitka ist Sitz der Diözese) brannte 1966 ab, der originalgetreue Nachbau wurde 1978 eingeweiht.

Ein paar hundert Meter weiter lockert die Bebauung schon wieder auf, zwei, drei weitere Kirchen folgen, dann schon wieder einzeln stehende (Holz-)Häuser. Im Eindruck beherrscht aber schon wieder die Landschaft, zumal die Ebbe bei dem hier bestehenden Tidenhub von heute 3,30 m nochmals besondere Akzente setzt.

Am Ufer entlang führt der Weg zum Sitka National Historic Parc. Im Grunde nicht viel anderes als der nordische Regenwald, der hier große Teile der Landschaft bedeckt, nur dass hier gepflegte Spazierwege durch diesen Wald führen, sodass wir ihn bequem für uns entdecken und bewundern können.

Und eine große Besonderheit weist der Weg auf: Historische Totempfähle.

Wobei ein Totem nicht ganz einfach zu lesen ist. Die stilisierten Symbole stehen nicht einfach wie Hieroglyphen für einen Buchstaben, ein Wort oder eine Begebenheit. Vielmehr haben sie eine Vielzahl an Bedeutungen, die sich in ihrer Komplexität des einzelnen Totems nur gemeinsam mit der Geschichte der Entstehung des Totems, seines Schnitzers und seines Eigners ergibt.

Selbstverständlich standen Totempfähle ursprünglich nicht einfach entlang eines Waldpfades. Sie wurden vielmehr oft in Dörfern nahe des Ozeans so aufgestellt, dass Reisende sie vergleichsweise einfach sehen konnten. Damit wurde das Prestige des Eigners gesteigert und zugleich an Personen, Ereignisse oder Legenden erinnert.

Und diese hier stammen eigentlich nicht einmal aus Sitka. Vielmehr hat der damalige Gouverneur von Alaska die Skulpturen gesammelt und sie auf zwei Weltausstellungen Anfang des 20. Jahrhundert präsentiert, um auf Alaska aufmerksam zu machen. Ab 1906 wurden sie dann hier am Weg aufgestellt. Allerdings: die meisten der Skulpturen sind inzwischen Replikas, Neuschnitzungen nach dem Vorbild der inzwischen verrotteten Originale. Zumeist werden diese vor Ort von einem der wenigen Tlingit oder Haida gefertigt, die diese Kunst noch beherrschen.

Die stilisierten Symbole auf den Totems – zumeist Tiere – sind mal einfach zu erkennen, mal für Nichtkenner kaum zu erraten. Einige werden im sehenswerten Sheldon Jackson Museum erläutert, dem wir auf dem Rückweg unserer 12 km Wanderung einen Besuch abstatten. Hier werden Alltags- und Kunstgegenstände der „First Nations“ Alaskas ausgestellt. Nicht nur der Tlingit und Haida, die hier um Sitka heimisch sind, sondern auch der übrigen Stämme Alaskas.

Adler und Rabe haben zudem noch die Bedeutung, dass sie jeweils für einen der beiden Clans (Moieties) stehen, in die sich sowohl Tlingit als auch Haida aufteilen. Ob man Adler oder Rabe ist, entscheidet sich dabei nach der mütterlichen Linie, man bleibt es ein Leben lang. Den Moities werden unterschiedliche Fähigkeiten und Charaktere zugeordnet, ein weiterer Aspekt auf den jeweiligen Totems. Eine religiöse Bedeutung im Sinne eines Heiligtums oder einer Anbetung hatten die Totems übrigens nicht, die abgebildeten Tiere dagegen teilweise schon.

Der majestätische Weißkopfseeadler und auch der intelligente, wunderschön schwarz-blau glänzende Rabe sind hier übrigens so häufig, dass wir Vertreter dieser beiden Vogelarten wirklich jeden Tag sehen.

Aber welchen Charaktereigenschaften das bei uns beiden entsprechen würde …

😚