Klemtu: von Geister-Bären und Klassiker-Gänsen

(Einen) Schwarzbären haben wir ja jetzt gesehen, aber Klemtu bietet uns die Chance auf eine extrem seltene Unterart: den Spirit Bear, also Geister-Bär. Genau genommen ist Klemtu nicht der einzige Ort, an dem diese Tiere gesichtet werden können, die Chance ist ohnehin nicht gut, allerdings besser als anderswo.

Denn der Spirit Bear ist ein weißer Schwarzbär. Hört sich seltsam an und ist es auch, denn diese Unterart des amerikanischen Schwarzbären gibt es tatsächlich mit weißem oder cremefarbenem Fell. Keine Albinos, sondern eine natürliche Genmutation, die diese nur hier vorkommende Unterart (Kermodebär) von den anderen Schwarzbären unterscheidet. Selbst innerhalb der Unterart sind zumeist 90 Prozent der Bären schwarz. Auf einigen wenigen Inseln aber sind fast ein Drittel der Kermodebären hell, so auf Gribbel Island und eben auf Swindle Island, wo Klemtu liegt. Der Ort ist eine First Nation Gemeinde, eine der größeren. Etwa 500 Kitasoo und Xai’xais leben hier. In ihrer Mythologie hat der Schöpfer einen von zehn Schwarzbären weiß gemacht, um an die (gar nicht so weit zurück liegende) Zeit zu erinnern, in der Gletscher das Land bedeckten. Die Menschen sollen dankbar dafür sein, es nicht als selbstverständlich hinnehmen, dass stattdessen nunmehr Bäume und andere Pflanzen das Land bedecken und die dazwischen liegenden Wasser befahrbar und fischreich sind.

Am öffentlichen Steg in Klemtu können wir kostenlos festmachen. Die “bull rail”, an der auch hier statt Klampen die Leinen festgemacht werden, hat zwar schon bessere Tage gesehen, aber der Steg selbst ist in Ordnung. Ein Obmann der Gemeinde spricht uns beim Landgang an, erklärt uns, wie die Bewohner versuchen, selbstständig zu bleiben und gleichzeitig nachhaltig zu wirtschaften, in der Forstwirtschaft, mit den gemeindeeigenen Lachsfarmen ebenso wie der Hatchery (Wildlachsaufzuchtstation) und auch besonderen Regeln beim Fischen. Für uns bedeutet das, keinen Krebskorb ausbringen zu dürfen, angeln ist aber erlaubt. Wir erfahren auch, dass auf UKW-Kanal 6 der allgemeine Dorffunk läuft und wir dort George Robinson anfunken sollen, wenn wir das Long House von innen besichtigen möchten. Probieren wir, erreichen ihn aber leider nicht. Von außen ist es schon mal imposant:

Das Wasserflugzeug ist übrigens eine Grumman Goose G21A, ein Flugboot, das auf dem Wasser und auch auf normalen Landebahnen aufsetzen und auch starten kann. Von 1937 bis 1944 insgesamt 345 mal gebaut ist es ein echter Klassiker und hier immer noch im normalen Betrieb, wie Wasserflugzeuge überhaupt ein ganz übliches und auch notwendiges Verkehrsmittel in BC (und auch in Alaska) sind.

Bei unserem Landgang sehen wir dann zwar Spirit Bears, aber leider nur auf den Abbildungen, die in dem Örtchen die (bärensicheren) Mülleimer zieren. Die Erinnerung an Bewusstheit und Nachhaltigkeit findet also ihre Fortsetzung.

Selbst auf unserem ausgedehnten Hike hinauf durch das Hochmoor und den Wald bis hin zum weit über Klemtu liegenden Süßwassersee sehen wir keine Bären. Ist aber auch kein Wunder, wir machen vor unübersichtlichen Stellen absichtlich ordentlich Lärm und rufen den Bären zu, dass wir gleich um die Ecke kommen.

😊

Trotz der wenigen Touristen (es gibt nach unserer Kenntnis nur eine Lodge und wir sind das einzige Gastboot im Hafen) sind die Trails aufwändig angelegt. Bohlen, Holzscheite und Baumscheiben machen das Hochmoor gut begehbar, auch wenn die Baumscheiben beim Schwereren von uns beiden mit schmatzendem Geräusch bis fast zum Rand einsinken, obwohl es daneben fast trocken aussieht.

Der weitere Weg durch den Regenwald zum See ist dann noch deutlich rutschiger, manchmal im Bachbett verlaufend und zwischendurch auch abenteuerlich, an den steilen Stellen ist das Halteseil unerlässlich. Aber es lohnt sich:

Im Ort finden wir (wenn auch nur durch Nachfragen) einen gut ausgestatteten Supermarkt, wobei wir das Glück haben, dass am Tag unserer Ankunft die große BC-Fähre am örtlichen Terminal angelegt und die neue Lieferung mitgebracht hat.

Supermarkt in Klemtu. Das Tor rechts ist der Eingang 🤔

Nach zwei Nächten am Steg verholen wir eine knappe Meile weiter in die herrliche Ankerbucht eben südlich des Ortes.

Liegt nicht nur wunderbar idyllisch, sondern beschert uns auch gleich Angelglück, ein stattlicher Coho-Lachs geht uns an den (widerhakenlosen) Haken. Für das Abendessen ist also gesorgt und wer weiß, vielleicht zeigt sich am Waldrand im Lachsbach ja noch ein echter Geister-Bär.

Ganz viel Landschaft

Es klappt mit dem Tankstop in Hartley Bay. Zwingend notwendig wäre es nicht, der Tank ist erst etwa halb leer. Aber vor uns liegt einiges an Strecke durch die wild verzweigten Fjorde um den nördlichen Teil der Inside Passage in British Columbia. Zwischen Hartley Bay und Port Hardy auf Vancouver Island liegen zwar noch zwei weitere Tankmöglichkeiten (Klemtu und New Bella Bella), aber bei beiden warnt der Törnführer, dass eine vorherige Anfrage hinsichtlich der tatsächlichen Verfügbarkeit angeraten sei. Zudem wissen wir nicht, wie viel wir in den zum Teil engen Fjorden segeln können bzw. motoren müssen.

Und außerdem wollen wir auch noch ein paar Umwege oder Abstecher machen, den ersten gleich im Anschluss. Statt Whale Channel und MC Kay Reach Richtung Südosten schwenken wir im Zickzack erst einmal in die Verney Passage 13 Seemeilen wieder nach Norden, dann den Ursula Channel (liebe Grüße, Uschi) wieder nach Süden und kurz darauf wieder nördlich in die Bishop Bay. Der Grund dafür: die Bishop Bay Hot Springs. Zweimal haben wir ja in Alaska bereits die heißen Quellen zum Baden benutzt (White Sulphur Springs und Warm Springs Baranof). An der Küste British Columbias sind neun Standorte zugänglicher heißer Quellen verzeichnet. Mal mit, mal ohne Badehaus und mit Temperaturen zwischen 39 und 59 Grad Celsius. Die Quelle in Hot Spring Island auf Haida Gwai erreichte sogar 60 Grad, war aber nach dem Erdbeben 2012 zeitweise versiegt und ist seitdem kühler.

In den Bishop Bay Hot Springs sind es angenehme 40 Grad. ☺️

Der Ankerplatz in Bishop Bay ist etwas tricky, der Fjord ist bis 400 m tief und steigt zum Ufer hin entsprechend sehr steil an. Ankern mit Heckleine zum Land ist angeraten, es gibt aber auch eine öffentliche Mooring und einen kleinen Schwimmsteg. Wir haben doppelt Glück, die Mooring ist frei und als wir näher kommen, verholt das kleine Motorboot am Steg ein Stück nach vorn, damit wir hinter ihm anlegen können.

Hier, irgendwo im nirgendwo, mit ein paar Hundert Quadratkilometern drumherum ohne menschliche Siedlung, steht ein Badehaus. Zu erreichen vom eigens angelegten Steg über einen kurzen Bohlenweg. Jippie!

Wir nutzen das Bad gleich zweimal. Einmal am ersten Abend und ein zweites Mal am nächsten Morgen, nachdem wir gelesen haben, dass im äußeren Becken Shampoo benutzt werden darf. Ganz nebenbei: während wir uns im warmen Wasser aalen, können wir nicht nur unser Boot am Steg sehen, sondern auch einige Buckelwalen in der Bucht beobachten.

Auch als wir später den Ankerplatz verlassen, sehen wir dicht am Ufer ihren Blas und ihre Fluken.

Unser nächstes Ziel ist Butedale, gut 20 sm den Fraser Reach hinunter. Die ehemalige Cannery soll einen Anlegesteg haben. Die Angaben im Törnführer und in den Community Edits auf Navionics sind nicht sehr vielversprechend, aber Michelle hatte uns in Hoonah den Stop hier empfohlen. Tatsächlich haben wir den Ponton, an dem mindestens vier Schiffe Platz fänden, ganz für uns allein.

Obwohl an Land alles völlig verfallen ist, zieht uns die Location sofort in ihren Bann. Schon bei der Anfahrt passieren wir einen beeindruckenden Wasserfall. Die Bucht mit ihrem sanft ansteigenden Gelände und den dahinter liegenden hohen bewaldeten Bergen sieht malerisch aus. Wir träumen uns zurecht, wie idyllisch Butedale aussehen würde, wenn jemand (mit allerdings gewaltigem Aufwand) die maroden Gebäude in Schuss bringen und den angehäuften Schrott beseitigen würde. Da sind wir sicher nicht die einzigen, aber der Investor, der das Ensemble vor einigen Jahren erwarb, hat bisher jedenfalls nicht allzu viel seiner ambitionierten Pläne umgesetzt und der zwischenzeitlich wohl dort lebende “Caretaker” scheint nicht mehr dort zu sein. Trotzdem, was für ein wundervolles Stückchen Erde.

Immerhin, vom Boot am Steg aus fange ich eine Scholle, eine weitere hatten wir schon unterwegs bei einem kurzen Angelstop an Bord gezogen. Es gibt Schollenfilets in Maismehlkruste mit Backofenkartoffeln und Orangen-Krautsalat.

Heute Morgen fahren wir zeitig weiter, gut 40 sm sind es bis nach Klemtu. Der zunächst noch bedeckte Himmel reißt auf und beschert uns einen traumhaften Segeltag. Ja, SEGEL-Tag. Der achterliche Wind variiert zwar in der Stärke, aber er bleibt uns den ganzen Tag treu und schiebt uns – durch die Fjorde kanalisiert – immer hübsch voran.

Und so gleiten wir heute ohne Motorengedröhn durch eine Landschaft, die vor Hunderten von Jahren wohl auch nicht anders ausgesehen hat. Steile Hänge, dicht bewaldet mit Tannen und Zedern, blanker grauer Granit oberhalb der Baumgrenze. Die gestaffelten Bergrücken changieren von einem satten dunklen Grün in der Nähe zu dunstig hellerem und immer bläulicherem Ton in der Ferne.

Immer wieder freuen wir uns an einem Blas, dem Rücken oder der Fluke von Walen. Fast den ganzen Tag sehen wir tatsächlich nicht ein einziges Haus, keine Stromleitungen, keine Straßen, keine Mobilfunknasten. Erst kurz vor Klemtu zwei Hütten, die auf Flößen montiert eine Lachsfarm markieren. Unsere erste überhaupt, denn in Alaska sind Lachsfarmen ja verboten, anders als hier in Kanada.

Das erste “echte” Haus dann kurz darauf, der 1907 eingeweihte und gut erhaltene Leuchtturm “Boat Bluff” an der Südspitze von Sarah Island mit seinen Nebengebäuden, der noch heute mit Leuchtturmwärter bemannt ist.

Das gibt’s noch, genauso wie die scheinbar unberührte Naturlandschaft auf den 40 sm davor!