Rapids

Nordwestlich des Desolation Sound schließt sich eine gleichzeitig verlockende wie auch einschüchternde Landschaft an. Geprägt von dicht bewaldeten Bergen, die von einer Vielzahl von Wasserwegen durchzogen sind. Es locken unzählige baumbestandene Felsinseln, Buchten und wunderschöne Ankerplätze. Als natürliche Palastwachen für diesen Seglertraum fungieren allerdings die zumindest Respekt einflößenden, gute Planung erfordernden, manchmal auch abschreckenden “Rapids”. Von Süden kommend muss je nach Route mindestens eine dieser Stromschnellen passiert werden.

Wie kommt es zu diesen Rapids?

Schaut man sich Vancouver Island auf der Seekarte an, ist die Ursache schön zu erkennen. Der Pazifik umfasst die riesige Insel sowohl von Norden wie auch von Süden mit zwei großen Buchten. Mit einem Tidenhub von 4 bis 6 Metern strömen Wassermassen in diese wie Trichter wirkenden Buchten hinein und werden dann in das Labyrinth der Wasserwege zwischen Vancouver Island und dem hier nah heranreichenden Festland von British Columbia gepresst und etwa sechs Stunden später wieder heraus gesogen. Von beiden Seiten her, wohlgemerkt, was die Stömungssituation noch einmal spannender macht.

Und wenn die Wassermassen dabei durch flache Engstellen müssen, vielleicht auch noch mitzusätzlichen Unterwasserfelsen gespickt, wird es im wahrsten Sinne des Wortes äußerst turbulent.

Im Grunde gibt es neben den vielen als Sackgassen abzweigenden Fjorden drei grundsätzlich Wege, die die nördliche und die südliche Bucht verbinden:

Die “Hauptdurchgangsstraße” zwischen der Johnstone Strait im Norden und der Strait of Georgia im Süden ist die Discovery Passage, die wir auch im letzten Herbst für die Fahrt nach Süden genutzt haben (rot gekennzeichnet). Sie erfordert nur einmal die Passage von Rapids, allerdings führt sie durch die berüchtigten Seymour Narrows mit ihren bis zu 16 Knoten Strömung.

Alternativ kann die östliche Route (blau gekennzeichnet) gewählt werden. Sie wird manchmal als “Back Route” bezeichnet, ist aber auch eine sehr direkte Verbindung. Diese Strecke beinhaltet drei dicht hinter einander liegende Narrows, nämlich die Yuculta Rapids, die Gillard Passage und die Dent Rapids.

Und dann wäre da noch die “Middle Route“. Sie führt zunächst durch die Surge Narrows. Wenn man danach links abbiegt (grün), geht es weiter durch die Okisollo Narrows mit ihren Upper Rapids und Lower Rapids hinüber zur Johnstone Strait.

Wir haben uns für die Middle Route in der anderen Variante (weiter lila) entschieden. Wir starten durch die Surge Narrow in der Nähe unseres Ankerplatzes bei Rebecca Spit. Für einen visuellen Eindruck: wie Seekanuten die Surge Narrows meistern, wie die Whirlpools, Overfalls, stehende Wellen und Eddies aussehen, das kann man hier sehr spanned verfolgen. Es ist erstmal nur ein kurzer Törn, nach der Passage der Surge Narrows übernachten wir in der Waiatt Bay (Octopus Islands).

Dungeness Crab. Der Panzer ist etwa zwanzig Zentimeter Breit, die Scheren ragen auf jeder Seite ausgestreckt nochmal gut 15 Zentimeter heraus.

So können wir für den nächsten Morgen die Passage durch “Hole in the Wall” perfekt timen und den Westeingang von Hole in the Wall bei Stillwasser passieren. Trotzdem zeigen sich immer noch reichlich Eddies und Whirlpools neben dem engen aber jetzt zum Glück ruhigen mittleren Fahrwasser. Bis zu 12 kn stark kann die Strömung hier sein, dann möchte ich das definitiv nicht auf dem Boot erleben.

In der Florence Cove etwa in der Mitte der 4 sm langen Hole-in-the-Wall-Passage gehen wir schon wieder vor Anker. Diesmal allerdings nur für ein paar Stunden, um ein günstiges Zeitfenster für die nächsten Rapids abzuwarten. Am Nachmittag soll’s weitergehen.

Hole in the Wall, Blick nach Westen. In der schmalen Durchfahrt kann man selbst auf diese Entfernung bei genauem Hinsehen die derzeit dort herrschenden 11 kn Strömung erahnen.

Nebel, Narrows, Fury und die Ottershow

Der Regen ist erst mal durch, die Wolken haben sich verzogen. Die Nächte sind wieder sternenklar – in der ersten Nachthälfte. Ab Mitternacht bildet sich dann aber meist Nebel über dem warmen Pazifikwasser. Am späten Vormittag löst er sich wieder auf.

Macht nichts, von der Pruth Bay sind es nur etwa 20 Meilen bis zu unserem nächsten Ankerplatz. Wir haben die Fury Cove ausgewählt, weil sie strategisch günstig für den Absprung zur Passage um das Cape Caution liegt.

Die Fury Cove liegt noch eben östlich von Calvert Island. Südlich davon ist die geschützte Inside Passage insoweit unterbrochen, als eben das Stück bis Vancouver Island keinen Inselschutz gegen den Pazifikschwell und die entsprechenden Windsysteme bietet, dafür aber starke Tidenströme und eine Vielzahl von Untiefen: Cape Caution (wörtlich übersetzt: Kap Vorsicht/Warnung/Achtung) trägt seinen Namen zu Recht.

Fury Cove hat eine etwas verwinkelte, schmale Einfahrt durch ein Inselgewirr. „Entering … for the first time can be a hair-raising experience“ schreibt der Douglas (Törnführer). Aber bei dem ruhigen Wetter ist es wenig dramatisch. Und obwohl die Bucht zwei (nicht befahrbare) Öffnungen nach Westen hat, bleibt der Schwell wunderbarerweise draußen, der Ankerplatz ist ruhig wie ein Ententeich, obwohl sich draußen die Wellen krachend an den Felsen brechen.

Überhaupt ist Fury ein toller Ankerplatz. Mit dem Dinghy setzen wir zu einem der in die Felsen eingebetteten Sandstrände über und können die größere Insel Fury Island auf einem Trampelpfad durchs Inselinnere erkunden. Auch hier ist die Hochwasserlinie der Küste wieder voller Treibholz.

Und der Abendblick aus dem „Küchenfenster“:

Am nächsten Morgen das gleiche Spiel: Nebel. Gegen 10.00 Uhr fahren wir los und scheinen ihn hinter uns zu lassen. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht, immer wieder machen sich Nebelbänke breit, wir sind froh über das Radar. Auch Cape Caution schaut nur zum Teil aus dem Nebel.

Wir entscheiden uns, heute nicht bis Port Hardy durchzugehen, sondern noch einen Ankerstop im Miles Inlet einzulegen. Prompt reißt der Nebel komplett auf und wir können die schmale Gasse zum Ankerplatz bei strahlendem Sonnenschein durchfahren. Die Skizze im Törnführen warnt vor einer Flachstelle in der Durchfahrt mit nur einem Faden Tiefe (die amerikanischen und kanadischen Papier-Seekarten und auch der Törnführer verwenden hier wie auch in Alaska durchgängig die für uns sonst eher ungewohnte Maßeinheit Faden). Das wären nur rund 1,8 Meter, aber wir haben fast Hochwasser bei rund drei Metern Tidenhub. Die Navionics-Karte gibt an der flachsten Stelle 4,6 m an (plus Tide). Tatsächlich haben wir mindestens 7,6 m, das passt also mit Navionics und wir könnten mit Floras 2 m Tiefgang zur Not auch bei Niedrigwasser auslaufen.

Das schmale Miles Inlet bietet ein paar Besonderheiten. So ankern wir praktisch mitten auf einer Kreuzung. Ein kleines Stück in die beiden Seitenarme hinein wäre Ankern auch noch möglich, aber der Schwoiraum ist dann doch sehr begrenzt.

Die zweite Besonderheit: auch wenn es zunächst aussieht, als würde es noch ein Stückchen weiter gehen, sollte man Erkundungstouren nur mit dem Dinghy oder Kanu unternehmen und zeitlich gut planen.

Was sich nämlich bei Hochwasser noch so präsentiert…

… sieht bei ablaufendem Wasser noch vor Niedrigwasser schon so aus:

Wir können den kleinen Wasserfall jetzt von unserem Ankerplatz aus sehen und hören, unsere Dinghy-Erkundungstour im südlichen Arm des Miles Inlet endet nach einem 90 Grad Knick ebenfalls vor einem beeindruckenden Tiden-Wasserfall. Und doch sind die Rapids hier im Miles Inlet nur eine kleine Fingerübung der Natur (*). Knapp dreieinhalb Meile nordöstlich liegen die Nakwakto Rapids, in der Seekarte mit einem „⚠️“ versehen, sie gehören zu den kräftigsten Tidenstromschnellen der Welt. Bis zu 14 kn Geschwindigkeit erreichen die Wassermassen dort bei Flut, bei Ebbe werden es sogar bis zu 16 kn. Die Tuburlenzen und Eddies werden als „extremly hazardous“ beschrieben. Und doch: bei Stillwasser, egal ob hoch oder niedrig, sollen sie problemlos von Yachten passiert werden können, die beiden möglichen Routen sind selbst bei Niedrigwasser noch 10 bzw. 16 m tief.. Dann ist der Weg frei in die beiden großen, hinter der kurzen Schmalstelle der Nakwakto Rapids liegenden Fjorde Seymour Inlet und Belize Inlet. Aber das heben wir uns auf für ein andermal, vielleicht.

Zwar ankern wir auch im Miles Inlet (wie an den letzten Ankerplätzen auch) als einziges Boot, allein sind wir aber trotzdem nicht. Ein großer Seeotter dreht den ganzen Nachmittag völlig entspannt rückenschwimmend seine Runden um die Flora, döst treibend in unserer Nähe und verschwindet nur kurzfristig mal, um sich einen Krebs als Snack zu holen. Was für eine wunderbare Show:

(*) … oder des Planetendesigners Slartibartfaß. Wer statt unseres Douglass-Törnführers lieber Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ oder die anderen vier Bände von dessen „fünfbändiger Triologie“, insbesondere den dritten Band „Das Leben, das Universum und der ganze Rest“ liest, kennt ihn sicherlich. Ich musste jedenfalls sowohl in Alaska als auch hier in BC öfter an ihn und seine Liebe zu den von ihm designten Fjorden („die einem Kontinent ein schönes barockes Flair verleihen“) denken.

😊