Es bleibt durchwachsen. Erstmal segeln wir weiter unter der dicken grauen Wolke von gestern und so geht es auch in die Nacht. Der Wind dreht allerdings, zum Wachwechsel um 22.00 Uhr beschließen wir, den Spibaum zu setzen um vor dem Wind Schmetterling segeln zu können. Das hält dann auch bis zum Morgen durch, wenn auch bei leider abnehmendem Wind. Um 07.00 nehmen wir den Motor dazu. Eine Neuheit für uns, Motorsegeln vor dem Wind, aber nur so können wir eine Ankunft in Marsden Cove bei Tageslicht sicherstellen.
Zwischendurch können wir nochmal eine Zeitlang segeln, dann wird es doch wieder motorsegeln. Immerhin, wir sind inzwischen südlich der grauen Wolkenfront.
Und dann zeichnen sich langsam Umrisse am Horizont ab. Neue Wolken? Auch, aber: Nein. Land in Sicht! NEUSEELAND.
Am Nachmittag laufen wir an den Klippen der Whangārei Heads in den Hãtea River ein. Ein Orca zeigt kurz seine markante Rückenflosse, will sich aber leider nicht fotografieren lassen. Und wir sehen erstmals Austral-Tölpel, nahe Verwandte der für Helgoland so typischen Basstölpel, denen sie auch sehr ähnlich sehen.
Ein kleines Stück geht es flussaufwärts, links Industriekaianlagen, rechts aber wunderschöne Landschaft.
Wir biegen ab in den schmalen Kanal, der zur Marsden Cove Marina führt. Der Hafenmeister weist uns einen Platz im Quarantänebereich zu. Die Abfertigung wird heute nicht mehr erfolgen, MPI und Zoll kommen dann morgen früh an Bord.
Macht überhaupt nichts. Wir sind superglücklich, hier zu sein.
Essen: unterwegs Rührei mit einigem von dem, was das MPI uns morgen sonst wegnehmen würde, z.B. Datteln und Speck. Und heute Abend Nudeln mit Pilz-Sahne-Soße. Wie ein Kessel Buntes eben, passt doch ganz gut zu dieser ziemlich abwechslungsreichen Passage.
Strecke seit gestern 202 sm (in 31 Std), gesamt 761 Seemeilen.
Der Morgen beschenkt uns mit leichtem Wind, kurz segeln wir mit Code0 auf Halbwindskurs, dann raumt die leichte Brise etwas mehr und wir können auf unseren blauen Gennaker wechseln.
Langsam gleiten wir bei Sonnenschein über das tiefblaue Wasser. Wie das flappende Großsegel auf dem Bild schon andeutet: das leise Lüftchen reicht gerade so eben, um die Segel einigermaßen zu füllen. Immerhin, ein paar Stunden steht sie durch. Dann färben Schleierwolken den Himmel langsam von blau auf grau und die Brise wird zu einem Hauch, schläft schließlich völlig ein. Wir werfen den Jockel an und motoren durch die Flaute.
Es ist schon erstaunlich, was das weite Meer mit uns macht.
Bei Starkwind und hohen Wellen beansprucht das Boot, das Segeln, das Funktionieren den Großteil von uns. Das Außen hält uns auf Trab, es lässt nicht viel Platz für anderes. Bei Flaute aber scheint die Zeit still zu stehen. Egal ob wir dümpeln oder hindurchmotoren, es ist als lasse uns der Ozean hinter unsere Fassaden schauen. So, als wäre die glatte Wasseroberfläche gleichsam auch das Symbol für den Spiegel in unser Inneres.
Ein Hörbuch und zwei damit scheinbar überhaupt nicht zusammen hängender Diskurse beim Abtrocknen und beim Vorbereiten des Angelhakens machen deutlich, wie sehr diese Flaute uns auf uns selbst zurückwirft. Urplötzlich reißt die alte und fast geschlossen geglaubte Wunde unserer ungewollten Kinderlosigkeit auf, bringt Trauer, diffuse Schuldgefühle, Schmerz wieder ans Licht. Der erste Impuls ist Rückzug. Aber Flora hilft uns. In der relativen Enge des Bootes ist es schwer, sich abzukapseln. Wir reden. Liegen uns in den Armen. Finden wieder einen Weg, gemeinsam mit den schmerzhaften Gefühlen umzugehen, die aber eben auch zu unserem Leben dazugehören.
In der Nacht setzt das Wetter dann nochmal einen Kontrapunkt. Ich habe mich kaum in meiner Freiwache schlafen gelegt, als der Wind zurückkommt. Von achterlichen 4 Knoten steigt er auf gut segelbare 10 kn an. Also „all hands on deck“, wir setzen die Segel, binden sogar rein vorsichtshalber ein erstes Reff ins Groß. Eine halbe Stunde später stehe ich wieder im Cockpit. In Böen pfeifen jetzt 26 kn im Rigg und wir laufen inzwischen hoch am Wind. Safety first, wir gehen gleich ins dritte Reff. Eine gute Stunde später hat der Wind gedreht und etwas abgenommen, wir wenden und wechseln aufs zweite Reff.
Beim Wachwechsel herrscht dann wieder Flaute, also Segel weg und Motor an für den Rest der Nacht.
Seit heute Früh segeln wir wieder, hoch am Wind bei Vollzeug.
Etmal: 112 sm, gesamt bisher 280 sm. Noch zu segeln bis Whangarei voraussichtlich 510 sm.
48 Stunden halten wir durch, segeln langsam unserem Ziel Neuseeland entgegen. Eigentlich nicht einmal das, denn wir setzen einen südlicheren Kurs, fahren also einen kleinen Umweg. Das bringt uns etwas vorlicheren Wind jetzt (bei dem Leichtwind ein Vorteil) und wir spekulieren auf einen besseren (nämlich raumeren) Winkel für den später auf der Passage vorhergesagten stärkeren Wind.
Durch die Dünung des Pazifiks neigt das Großsegel dazu, in der Welle deutlich einzurucken, der Baum knallt dabei in die zuvor lose gekommene Großschot. Einen Bullenstander zum Fixieren des Baums können wir auf diesem Kurs nicht setzen, also lassen wir uns eine andere Variante einfallen, auch wenn die sicher nur für längere Leichtwindstrecken ohne ständiges Trimmen des Großsegels geeignet ist. Aus dem Ersatzgummi für unsere Harpune basteln wir einen Rückdämpfer für die Großschot.
Für uns funktioniert das ganz gut. Allerdings nur, bis der Wind raumt und wir vor den Wind gehen müssen.
Langsam ist eigentlich noch geschönt. Es ist Schleichfahrt auf Schmetterlingskurs. Aus 5 bis 6 kn achterlichem wahren Wind machen wir 3 kn Fahrt. Eigentlich schon ganz beeindruckend: 3 kn Fahrt bei 3 kn scheinbarem Wind. In Böen bis 8 kn werden sogar über 4 kn Fahrt durchs Wasser daraus. Nur reduziert der Gegenstrom die Fahrt über Grund dann trotzdem auf kaum über 3 kn. Aber immerhin: 2 Stunden solcher Schleichfahrt unter Segeln bedeuten streckenmäßig, eine Stunde weniger motoren zu müssen. Und wir haben es ja nicht eilig.
Heute Früh beim Wachwechsel machen wir dann aber doch den Motor an. Der Gegenstrom ist wieder auf einen Knoten angestiegen, der Wind fast ganz eingeschlafen. 0,8 Knoten Fahrt über Grund sind einfach zu deprimierend.
Wir sind aber in guter Gesellschaft. Obwohl wir in der Blase unseres Horizonts kein einziges anderes Segel erspähen können, wissen wir doch den Schwarm der segelnden Zugvögel um un herum. Wie die Gänse in V-Formation streben auf MarineTraffic gut sichtbar die pinken Dreiecke der Langfahrer aus Fiji und Tonga nach Neuseeland ins Winterquartier. Oder ins Südhalbkugel-Sommerquartier, je nach Definition.
Und wir sind mittendrin.
Etmal: Minus-rekordverdächtige 73 Seemeilen in den letzten 24 Stunden über Grund, ziemlich genau 3 kn im Schnitt.
Essen: Frisch gemachte Linsensuppe mit selbstgemachten Fenchel-Mettbällchen (die Crew der Naida hatte uns vor der Abfahrt aus Minerva gefrorenes Hackfleisch aus ihrem Überbestand geschenkt).
Wir segeln, zwar langsam, aber wir segeln und das bei herrlichem Wetter.
Der Wind ist schwach, meist zwischen 7 und 10 Knoten. Immerhin reicht das unter Groß und Code0, um nicht Motoren zu müssen, zumal die See auch angenehm ruhig ist. Allerdings haben wir eine Gegenströmung von jetzt noch 0,7 kn, zwischendurch war es mehr als ein Knoten. Das macht sich natürlich im Verhältnis zu der langsamen Fahrt besonders bemerkbar. Also zupfen wir ein bisschen mehr als sonst auf Passage üblich an den Schoten, so legen wir in den ersten 24 Stunden dann doch immerhin 95 Seemeilen zurück.
Der Strömung können wir übrigens kaum ausweichen, die Darstellung der Strömungsverhältnisse (auf Windy.com) gleicht eher einer surrealistischen Malerei und die kleinen Kringel verändern sich ständig:
Anders als ursprünglich geplant werden wir aber wohl nicht nach Opua (Bay of Islands) gehen, sondern direkt nach Marsden Cove / Whangarei. Der Grund ist, dass wir bisher trotz dreimaliger Übermittlung von Unterwasservideos und ergänzenden Unterwasserfotos kein Pre-Approval von der Biosecurity haben. So, wie die neuen Regeln zumindest am Anfang dieser Ankunftssaison angewendet wurden, wäre das etwa ein 1/3 Risiko dafür, im Ankunftshafen sofort aus dem Wasser gekrant werden zu müssen. In Opua würde das bedeuten, dass wir auch noch einen Rigger bezahlen müssten um das Vorstag abzubauen, weil sie dort ansonsten nur bis 40 Fuß rausnehmen können. Oder rückwärts, aber dann wäre unser Windgenerator im Weg. Um diese zusätzliche Komplikation zu vermeiden haben wir uns lieber für Marsden Cove/Whangarei als Ankunftsort in Neuseeland entschieden.
Die Planung für die Passage ist auch so schon komplex genug. Es sind nur rund 850 Seemeilen von Minerva bis nach Whangarei, aber die Wettersysteme verändern sich in diesem Bereich sehr schnell. Der Wendekreis des Steinbocks (also der südlichste Breitengrad, auf dem die Sonne mittags im Zenit stehen kann) verläuft in etwa in Höhe des Minerva Riffs. Mit der Passage verlassen wir also jetzt definitiv die relativ klimastabilen Tropen. Die Temperaturschwankungen (auch zwischen Tag und Nacht) nehmen spürbar zu und die weit südlich durchziehenden Sturmgebiete beeinflussen mit ihren Ausläufern die Windverhältnisse um so kräftiger, je weiter wir nach Süden kommen.
Aktuell sieht der Wind zwischen unserer Position (weißer Punkt in dem grünblauen Schwachwindbereich) und Neuseeland so aus:
Auffällig ist dabei der schmale blaue „Flautenfluss“ links in der Mitte des Bildes. Nördlich davon herrscht Nordwestwind, südlich davon Südostwind. Schaut man auf die Böen, wird vor dem Nordkap Neuseelands ein Bereich mit bis zu 45 Knoten (Windstärke 9) ausgewiesen. Er zieht nach Osten ab, quert also unsere Route.
Die Abfahrt haben wir deshalb so geplant, dass dieser Bereich vor uns durch sein sollte und das nächste Starkwindgebiet erst nach unserer Ankunft unsere Route quert. Der Kurs dafür ist nicht die gerade Strecke. Wir halten zunächst südlicher und schwenken dann erst auf Whangarei ein.
Kleiner Haken: auch der angesprochene Flautenfluss an der Grenze zweier gegenläufiger Wettersysteme verlagert sich östlich und da müssen wir durch. Es kann also sein, dass wir im Verlauf der Passage noch etwas motoren müssen. Dabei gilt es dann auch die Gewitter zu umfahren, die dieses Phänomen mit sich bringt.
Wenn die Vorhersage stimmt, können wir zwischen zwei stärkeren Zellen hindurch schlüpfen.
Und als weiterer bedeutsamer Parameter sind noch die Wellen zu berücksichtigen. auch hierfür bieten sowohl Windy als auch PredictWind Vorhersagemodelle für Richtung und Höhe an. Danach sind in der Spitze etwa 2,6 m Welle zu erwarten. Das ist für sich genommen ok, allerdings kann das Wellenbild wegen der gegenläufigen Systeme durchaus chaotisch werden. Unangenehm, aber bei dieser Höhe nicht gefährlich.
Soweit unsere Überlegungen. Dass wir damit nicht ganz falsch liegen, scheinen die professionellen Wetterrouter einiger anderer Boote zu bestätigen. Nach zuvor eher ablehnender Haltung haben sie gestern doch kurzfristig zum Aufbruch von Minerva geraten. Wir sind also mit einem kleinen Konvoi losgefahren.
Auf See verteilt sich das aber schnell. Inzwischen sehen wir nur noch zwei Boote in 12 Seemeilen Entfernung auf dem AIS, ihre Segel können wir am Horizont aber schon nicht mehr erkennen.
Na gut. So viel zu unserem Plan. Vermutlich am vierten November würden wir dann in Marsden Cove ankommen.
Bisher übrigens kein Angelglück.
Essen: Bratkartoffeln mit Frikadellen und Möhren-Krautsalat.
Dankbarkeit. Ehrfurcht. Glückseligkeit. Schwer in Worte zu fassen, was die ruhigen Tage hier im Minerva Riff uns so fühlen lassen.
Wir sind wie aus der Zeit gefallen, oder mehr noch: wie aus dem Raum, aus unserer an besonderen Orten ja schon nicht eben armen Welt. Hinein in diese Blase eines ganz eigenen Mikrokosmos.
Als stets präsentes Hintergrundgeräusch rauscht leise die Brandung auf dem Riff, sonst ist es einfach still. Der Wind hat deutlich abgeflaut. Keine Vögel, kein Zivilisationslärm, Allenfalls fährt ab und zu ein Dinghy vorbei oder eine befreundete Crew kommt auf einen Schnack herüber.
Denn ja, wir sind natürlich nicht alleine hier. Es ist Hauptsaison für den Schwarm der seglerischen Zugvögel nach Neuseeland. Das schmälert aber keineswegs das Gefühl, an einem einmaligen Ort sein zu dürfen. Eher im Gegenteil, diesen besonderen Ort gemeinsam mit Freunden erleben zu dürfen fühlt sich eher noch intensiver an, ein bisschen „wirklicher“.
Alle scheinen die „Pause“ bei wirklich idealen Bedingen hier auf Minerva zu genießen, ein Wetterfenster für die Weiterfahrt nach Neuseeland zeichnet sich nicht vor Mittwoch ab.
Mit Ralf und David von der Barbarella fahren Wiebke und ich zum Schnorcheln an den Pass. Spektaläre Drop-Offs machen deutlich, wie steil das Minerva-Riff aus der Tiefe des Pazifiks emporsteigt. Einmal mehr ändert sich die Fischwelt ein wenig, so sehen wir erstmals die weiß-gelb-schwarzen Diamant-Falterfische.
Am Nachmittag fahre ich dann mit Ralf, David, Phil und Jean-Luc hinüber ans Riff. Das Riffdach ist rund um Minerva ziemlich breit und bei Ebbe überwiegend gut begehbar. Es bietet gute Chancen, Lobster zu fangen, dieses Mal ist allerdings nur Jean-Luc erfolgreich, Phil fängt ein eiertragendes Weibchen, das er gleich wieder frei lässt (einer der Gründe, warum wir nicht mit Harpunen auf Lobsterfang gehen).
Abends dann Potluck auf der französischen Inajeen bei Soize und Ben gemeinsam mit den Crews der Naida, der Clair de Gouêt und der Skylark.
Heute gibt’s dann für Wiebke und mich Sonntags-Schnorcheln vom Feinsten. Nahe bei unserem Ankerplatz liegen im Flachwasser die Überreste des kleinen Stahlfrachters Commonderry der hier im Jahr 1969 und damit 83 Jahre nach seinem Stapellauf verunglückte. Wer sich für die wirklich ereignisreiche Geschichte der Commonderry interessiert, findet hier nähere Angaben.
Bug und Heck des auseinander gebrochenen Rumpfes liegen ein ganzes Stück voneinander entfernt. Bei unserem ersten Besuch finden wir nur den Bug, einige Metallteile davon ragen auch bei Hochwasser an die Oberfläche.
Spannend, dass nach so vielen Jahren doch noch Details der Schiffstechnik auf dem Vorschiff erkennbar sind, obwohl sich eben auch farbenfrohe Korallen angesiedelt haben.
Das kleine Wrackteil des Schiffsbugs beherbergt eher wenige Fische. Ganz anders ist das bei den anderen Überbleibseln der Commonderry, die wir am Nachmittag bei etwas niedrigerem Wasserstand näher am Riffdach ausfindig machen.
Vor allem Schwärme von Gelbstreifen-Meerbarben und auch viele große Harlekin-Süßlippen mit ihren auffälligen schwarz-weißen Punktmustern halten sich mit unzähligen anderen Meeresbewohnern im und am Wrack auf. Und sie sind wenig scheu, das macht diesen Schnorchelgang im sonnendurchfluteten, glasklaren und damit farbenfrohen Flachwasser regelrecht magisch für uns.
Das passt sich wunderbar ein in unsere Minerva-Stimmung.
Es ist fast unwirklich. Wie eine maritime Fata Morgana in der Wasserwüste tauchen sie auf. Masten, die still stehen, obwohl doch um sie herum der Pazifische Ozean braust. Und ja, er braust noch, obwohl der Wind zuletzt etwas nachgelassen hat. Trotzdem, die zu den Masten gehörenden Segelboote liegen ruhig da, als ihre Rümpfe beim Näherkommen langsam sichtbar werden. Das ist es. Minerva, wir haben Dich erreicht.
Was für ein Ritt. Nach nur knapp über 48 Stunden liegen die 328 Seemeilen von der Ha’apai-Gruppe aus hinter uns, wir laufen durch den Pass ins Minerva-Riff ein.
Der Anker fällt irgendwo im Nirgendwo, ein paar hundert Meilen südlich von den Inselwelten in Tonga und Fiji, tausend Seemeilen nördlich von Neuseeland, mitten im tiefblauen Südpazifik. Aber er fällt eben nur 13 m tief, gräbt sich sofort in den Sandgrund der Lagune. Das lässt sich vom Bug der Flora wunderbar verfolgen, denn das Wasser ist kristallklar. Kein Bächlein trägt hier bei Regen Sedimente ein, weit und breit ist kein Land in Sicht.
Ein Atoll ohne Insel. Nur ein fast kreisrundes, perfektes Ringriff mit einem einzelnen Pass umfasst die Lagune.
Es wirkt als hätte die Natur hier einen Rastplatz für die Segler eingerichtet, die jetzt im Oktober aus dem Zyklongürtel der Südhalbkugel-Tropen heraus nach Süden gen Neuseeland ziehen und im April oder Mai wieder nach Norden Richtung Fiji oder Tonga segeln. Wir sind jedenfalls sehr froh über die Möglichkeit, nochmal inne zu halten und auszuschlafen. Dazu kommt, dass das Wetterfenster für die weitere Passage jetzt „nur“ eine Woche und nicht mehr 10 Tage umfassen muss. Die Vorhersagen werden deutlich präziser, je kürzer der Zeitraum ist. Bei den hier schnell wechselnden Wettersystemen ist das um so wichtiger.
Und es ist natürlich auch einfach faszinierend, mitten auf dem Ozean zu ankern.
Übrigens sind die Minerva-Riffe vielleicht kurz davor, Inseln zu werden. Langsam streben sie aus dem Meer empor, in den letzten 100 Jahren hat sich ihre Struktur um gut einen Meter angehoben. Wenn nicht ein ansteigender Meeresspiegel dagegen arbeitet, werden sich irgendwann die ersten Motus auf dem Riff bilden. Noch aber überspült das Wasser zumindest bei Flut praktisch das ganz Riff, bei Niedrigwasser dagegen kann inzwischen (mit feuchten Füßen) auf dem breiten Riffdach spaziert werden.
Abgesehen von der bei Seegang an das Riff tosenden Brandung sind die Minerva-Riffe aber noch immer schwer auszumachen. Immerhin sind sie in den Seekarten korrekt verzeichnet und in Zeiten der GPS-Navigation somit vergleichsweise einfach anzulaufen oder zu umschiffen. Aber das war eben nicht immer so, die Reste mehrerer Wracks finden sich auf den Riffen. Selbst regelmäßige Lotungen helfen nicht, ohne Vorwarnung steigen die Wände des Riffs steil aus der blauen Tiefe, in denen das klassische Lot noch keinen Grund findet. Und so geht auch der Name auf einen Schiffbruch zurück: 1829 strandete der Walfänger Minerva auf dem südlichen Minerva-Riff, die Besatzung konnte sich in einem völlig überladenen Walboot auf eine Insel der Lau-Gruppe im entfernten Fiji retten.
Ein kleines Video von Flora im Minerva-Riff:
Den Schaden an unserem Frischwassersystem können wir zum Glück auch beheben. Eine Dichtung am Boiler war verrutscht. Bei ruhigerem Wasser ein Easy-Fix.
Fast zwei Monate sind wir schon in Tonga. Offizieller Beginn der Zyklonsaison im Südpazifik ist der erste November, es wird also langsam Zeit, uns auf den Weg Richtung Neuseeland zu machen.
Ein Wunschziel liegt auf dem Weg: Minerva. Ein fast unwirklich erscheinender Ankerplatz mitten im offenen Ozean. Keine Insel, nur ein Unterwasser-Riff im ringsherum buchstäblich tausende Meter tiefen Pazifik. Kein Land in Sicht für Hunderte von Seemeilen. Das Minerva-Riff ist ein Atoll, nur eben knapp unter dem Meeresspiegel. Irgendwo im Nirgendwo zwischen Tonga, Fiji und Neuseeland. Auf der Navionics-Seekarte und auf Google Earth sieht das so aus:
Da wollen wir hin!
Formal gehören die beiden Riffe Minerva Nord und Minerva Süd zu Tonga und weiten damit Tongas Fischereirechte weit nach Süden aus, darüber gab es früher durchaus auch schon Streit mit Fiji.
Ausklarieren müssen wir trotzdem vorher. Und so führt uns unser Weg erst einmal wieder zurück ins Örtchen Pangai und dort zunächst zum “Ministry of Infrastructure”. Ganz leicht zu finden ist es nicht, denn das große weiße Schild würde zwar eigentlich das Ministeriumslogo und seine Bezeichnung tragen, nur ist es von der tropischen Sonne komplett ausgeblichen.
Aber es ist die auf Noforeignland angegebene Position, also klopfen wir und – siehe da – werden freundlich im Ministerium begrüßt. Aus der Tonnage unseres Bootes wird die zu entrichtende Gebühr von 9,80 TOP ermittelt, etwa 3,50 €.
Mit der Quittung laufen wir dann durch den Ort zum Zollbüro, wo wir ohne weitere Gebühr ausklarieren können. Auch hier ist das Hinweisschild ausgeblichen, aber von der Seite ist die ehemalige Aufschrift immerhin noch zu erahnen.
Zurück auf der Flora machen wir unser Boot klar für die Passage. Der Außenbordmotor wandert auf den Heckkorb, das Dinghy wird in den Davits mit “Bellybands” zusätzlich gesichert. Drinnen wird alles seefest verstaut, Flora ein letztes Mal gecheckt und dann kann es los gehen. Jetzt, unmittelbar vor der Abfahrt, können wir auch die nächsten Onlineformulare nach Neuseeland schicken. Das “ANA” (Advanced Notice of Arrival) mit diversen Anlagen und dann für jeden von uns jeweils eine “Traveller Declaration”. Also auch für das übernächste Ziel geht es voran.
Wir lichten den Anker morgens am 7:30 bei leichtem Nieselregen und aufgebauter Kuchenbude, weil der achterliche Wind den Regen von hinten ins Cockpit drückt.
Inzwischen aber scheint die Sonne, mit ausgebaumtem Vorsegel rauschen wir an den äußeren Inselchen der Ha’apai-Gruppe vorbei unserem Ziel entgegen. Etwa zweieinhalb Tage sollten wir bis Minerva unterwegs sein.
Es ist noch dunkel, als wir aufstehen. Um 6:30 lösen wir das Spinnennetz der Leinen, mit denen Flora so lange hier in Apia vertäut war. Das Ablegemanöver klappt gut, obwohl unsere Motorschaltung immer noch hakt. Über Standgas hinaus können wir nur entweder vorwärts oder rückwärts gehen, das Umschalten dazwischen funktioniert nur mit einem Griff in die Steuersäule hinein (wofür ein Instrumentenpanel losgeschraubt sein muss). Eine neue Schaltmechanik haben wir aus Deutschland mitgebracht, aber noch nicht installiert, weil sich die alte nicht so recht lösen will. Da möchten wir zur Sicherheit jedenfalls eine Werft in der Nähe haben für den Fall, das wir das Ganze bei einem Reparaturversuch verschlimmbessern.
Von der Windrichtung her passt das Wetterfenster, allerdings sind durchaus starke Böen angesagt. Ähnlich sieht es bei den Wellen aus. Die Richtung stimmt, aber bei gut 2,5 m Höhe und nur 8 Sekunden Frequenz.
Und so kommt es auch. Wir sind schnell unterwegs, aber so richtig angenehm sind die Bedingungen nicht. Zweimal erwischen uns Schauerböen bis 38 kn (8 Bft), aber Flora schlägt sich gut.
Bei dem Geschaukel liegen wir fast nur herum und schlafen viel.
Etmal in den ersten 24 Stunden unter gnädiger Hilfe der mitsetzenden Strömung 190 sm.
Bob ist am Montag wieder im Einsatz im kargen Übergangsbüro des Zolls, wir können also in Aitutaki ausklarieren. Interessanterweise sind dafür mehr Angaben zu machen als beim Einklarieren, so sollen wir zum Beispiel die Marke und das Fassungsvermögen der Rettungsinsel und die Seriennummer der EPIRB Seenotfunkbake im Formular eintragen.
Aber gut, letztlich klappt alles und kurz vor Mittag laufen wir aus.
Die Bedingungen sind gut, um sich in die Passage einzugewöhnen. Nicht allzu schaukelig, etwa 2 m seitliche Ozeanwelle. Erst Segeln wir auf Steuerbordbug mit Fock und Großsegel, seit heute früh ist die Fock an Backbord ausgebaumt. Schmetterlings-Segeln.
Ein schöner Sonnenuntergang und zudem fast Vollmond. Jeder von uns hat eine Nachtwache von vier Stunden, also 8 Stunden Freiwache. Das ist komfortabel, auch wenn der Schlaf in den ersten beiden Nächten einer Passage meist noch nicht so gut ist. Das Wetter ist etwas besser geworden. Bob hatte uns noch offenbart, dass auf Aitutaki um Vollmond und Neumond herum jeweils mit unstetem Wetter und Regen zu rechnen ist. Tatsächlich hat es bis kurz vor unserer Abfahrt genieselt.
Aber die Nacht bleibt trocken und es gibt auch einen schönen Sonnenaufgang.