Halb so wild

Wir haben Glück und einen gut gewählten Ankerplatz. Zwar tobt es draußen auf der Chesapeake tatsächlich mit bis zu 10 Windstärken und auch die auf Windfinder abrufbare Windmessstation direkt vor Solomon‘s zeichnet Böen bis 43 kn auf.

Aber ein paar hundert Meter weiter drinnen im Creek bekommen wir selbst in 20 m Masthöhe nur noch knapp 29 kn ab, mittlere Windstärke 7. Das ist kein Problem, unser Anker hält gut. Es regnet allerdings den ganzen Tag wie aus Eimern, ist grau und diesig.

Zeit, sich unter Deck einzukuscheln, zu lesen, einen Film zu schauen, und Duolingo freut sich auch über die Fortschritte in unseren Spanisch-Lektionen.

Heute sieht der Himmel wieder blau aus, wir verabschieden uns noch von Mareike in Zahnisers Marina und dann geht‘s ein weiteres Stückchen Richtung Süden.

Erst herrlich unter Segeln aus der Mündung des Patuxent River hinaus auf die Chesapeake Bay, aber dann müssen wir doch wieder den Motor anwerfen. Der wenige Wind kommt jetzt genau auf Floras Nase und wir müssen die fast 20 sm breite Mündung des Potomac queren. Nach 45 sm fällt der Anker in Reedville. Immerhin, damit sind wir schon mal im nächsten Bundesstaat Virginia angekommen.

Das heißt auch, dass wir uns telefonisch bei dem nächsten CBP-Bezirk anmelden müssen.

Ein echter Weißkopfseeadler erinnert uns freundlicherweise daran. 😁

Hatten wir im Sommer noch auf buchstäblich jedem zweiten Seezeichen brütende Fischadler (Ospreys) gesehen, sind die inzwischen fast alle verschwunden. Etwa ab Anfang Oktober ziehen sie nach Süden in ihre wärmeren Winterquartiere. Da schließen wir uns gerne an, es ist merklich kühler geworden, unsere Bordheizung läuft gelegentlich schon.

Umso schöner, wenn der Platz eines Osprey dann von seinem noch größeren Verwandten eingenommen wird. Tatsächlich sehen wir heute sogar mehrfach Weißkopfseeadler (Bald Eagle), was auch verdeutlicht, dass der zum Ende des letzten Jahrhunderts stark gefährdete Bestand des US-Wappenvogels inzwischen wieder deutlich erholt hat.

Pura Vida.

Sturmversteck und Gunkholing

In enger Folge ziehen derzeit kräftige Tiefdruckgebiete über die Chesapeake Bay, nicht untypisch für diese Jahreszeit. Die Lücken zwischen ihnen nutzen wir für die Fahrt nach Süden.

Screenshot, Quelle: Windy.com

Aber wenn das Tief naht, verkriechen wir uns. In diesem Fall hinein in die verzweigten Creeks von Solomon‘s Island. Wobei, ganz tief hinein brauchen wir gar nicht, schon die verschlungene Einfahrt gewährt guten Schutz. Mit dem Dinghy erkunden wir die von herbstlich gefärbten Bäumen gesäumten Verästelungen des Mill Creek und des von ihm abzweigenden St. John Creek, über drei Kilometer weit hinein. „Gunkholing“ nennen die Amerikaner das Herumfahren in diesen manchmal flachen und mit tiefgehenden Booten schwer zu navigierenden Inlets, wobei man dann herrliche Einblicke in die zum Wasser ausgerichteten Gärten der anliegenden Häuser bekommt.

Naja, Häuser. Am Eingang des Creeks sind es eher Villen, mal mehr, mal weniger geschmackvoll, die oft eher Motoryachten, schnelle Sportangler und Spielzeuge wie Jetskis an ihren Anlegern präsentieren. Weiter innen im Creek werden die Häuser oft etwas kleiner, liegen versteckter.

Manche der festen Stege am Ufer finden wir schon überspült, denn das Tiefdruckgebiet presst offenbar reichlich Wasser in die Chesapeake Bay hinein, ein ungewöhnliches Hochwasser ist angekündigt, Hochwasser- und Sturmwarnung bis hinauf nach Washington DC.

Ein Spaziergang zum WestMarine Bootsausstatter folgt, auf dem Rückweg besuchen wir noch Mareike, die in einer Marina im Nebencreek an ihrer Moana arbeitet und verabreden uns für morgen zum Abendessen.

Im Ort kommen wir dabei durch ein „historisches Viertel“ mit zum Teil wirklich alten, zum Teil aber auch brandneuen Häusern und Häuschen im historischen Baustil.

Zurück an Bord genießen wir noch ein wenig die Ruhe vor dem angesagten Sturm. Die Wettermodelle sind sich nicht ganz einig, bis zu 10 Bft könnten es nach dem NAM-Modell in der Chesapeake werden, hier für Solomon’s sagen immerhin drei von vier Modellen um die 40 kn und darüber (8 bis 9 Bft) voraus, lediglich das sonst in den Böen oft genauere ECMWF beschränkt sich diesmal auf 34 kn.

Screenshot, Quelle wiederum Windy.com

Wir machen die Flora klar für den Starkwind, kontrollieren Anker und Ankerkralle, sichern die Fock zusätzlich und stauen windanfällige Sachen wie z.B. den Rettungskragen) unter Deck. Und wirbekommen die Sendefunktion unseres AIS nach mehreren Emails mit dem Hersteller und einem Softwareupdate endlich wieder zum Laufen.

Und dann heißt es Abwarten.

Pura Vida.

Auf nach Süden

War der kurze 20 sm Hüpfer nach Annapolis auch schon mal ein toller Saisonauftakt, eine ganze Woche hätten wir dort eigentlich gar nicht bleiben wollen.

Dass es trotzdem so kommt, ist neben dem Wetter einigen Bootsarbeiten und – vor allem – den Treffen mit anderen Seglern geschuldet. Außerdem tut es gut, wieder anzukommen auf dem Boot, sich Zeit zu nehmen. 😎 Die Atmosphäre der Stadt aufzunehmen und auf uns wirken zu lassen.

Wir kümmern uns nochmals um unseren Generator, aber da kommen wir derzeit nicht wirklich weiter. Trotz neuer Kondensatoren kommt beim Start zunächst zwei mal eine Fehlermeldung, beim dritten Start läuft dann der Generator problemlos. Noch nicht optimal!

Den neuen Teppich hatten wir uns (von Hallberg-Rassy Parts) nach Herrington schicken lassen. Beim alten war an den Rändern die Kettelung z.T. aufgegangen, einige Druckknöpfe waren defekt, vor allem aber war die Gummierung der Rückseite nach 10 Jahren nun so porös und bröselig geworden, dass wir eine Reparatur der übrigen Macken für nicht sinnvoll hielten.

Neue Druckknöpfe und das passende Werkzeug hatten wir mitbestellt. Beim Auspacken jetzt in Annapolis die freudige Überraschung: Druckknöpfe sind schon drin!

Und sie passen ziemlich gut bei den ersten drei Teppichen, die wir austauschen. Beim vierten, dem großen im Salon, machen wir dann aber lange Gesichter: die Ausschnitte für die Füße des Salontisches passen nicht, sind ein paar Zentimeter versetzt. Grrr 😖.

Tatsächlich schaffen wir es mit etwas Überredungskunst, eine Boat-Canvas-Werkstatt zum KURZFRISTIGEN Umsäumen der von uns angepassten Ausschnitte zu bringen. Per Dinghy schaffen wir den Teppich zu ihnen in den Backcreek, kaufen Lebensmittel ein und schwupp, können wir den Teppich wieder mitnehmen. Jetzt passt er 😁.

Mehrmals treffen wir Annemarie und Volker von der „escape“, feiern ausgiebig Abschied, denn zumindest für diese Saison trennen sich unsere Wege. Wir sind gespannt, wo sie sich wieder kreuzen.

Peter, ein deutscher Segler, den wir im letzten Jahr kennengelernt haben, lädt uns in sein Haus in Annapolis ein, wo wir einen sehr netten Abend mit ihm und seiner Frau verbringen.

Am nächsten Tag kommt Mario vorbei, ein amerikanischer Eigner einer anderen Hallberg-Rassy 43. Bootsbesichtigung und fachsimpeln.

Aber dann geht es los. Herrliches Segeln mit raumem bis achterlichem Wind, der anfangs zwar noch in Böen 30 kn erreicht, dann aber schnell abnimmt, so dass wir ein Reff nach dem anderen ausschütteln können.

Trotz des herrlichen Sonnenscheins und des achterlichen (und damit scheinbar ja weniger starken) Windes ist es frisch, Wiebke mummelt sich im Cockpit in eine Decke. Wird doch Zeit, südlicher zu gehen.

Das letzte Stück der 45 sm nach Solomons müssen wir wieder etwas anluven, schön, dass bei der Schotführung nur die durch die Spibaumnock geführte Spischot losgeworfen und die Fockschot dichtgenommen werden muss, der Baum kann erst einmal stehenbleiben:

Pura Vida.