Amerikanische Gastfreundschaft

In Reedville machen wir einmal mehr Bekanntschaft mit großzügiger amerikanischer Gastfreundschaft. Wir ankern im Back Creek. Steve und Helena sind dagegen mit ihrer Amalia an den Steg von Mary und Walt gegangen. Sie hatten die beiden über den OCC kennengelernt (Ocean Cruising Club, quasi das englisch internationale Pendant zu unserem Verein TransOcean).

Am Abend nach Halloween werden wir mit zum Sundowner ins Haus von Mary und Walt eingeladen. Die beiden bieten uns großzügig an, bei ihnen Wäsche zu waschen, das schnelle Wifi zu nutzen, Müll da zu lassen (nehmen wir gern in Anspruch). Es folgen noch weitere Sundownerabende mit angeregtem Gesprächen, einmal bekocht Mary sogar die ganze Bande.

Gemeinsam mit Helena, Steve, deren Kurzzeitbesuch Luda und Dave sowie eben Mary und Walt gehts am nächsten Tag zum Lunch in das nette rustikale Leadbelly Restaurant bei der Fairway Marina. Luftlinie nicht weit entfernt, aber durch die Umwege um die Creeks herum dann doch ein ganzes Stück mi dem Auto zu fahren.

Fahren würden sie uns auch zum Einkaufen, außerdem bieten sie uns an das Dock des Nachbarn zu nutzen, … aber wir wir möchten sie nicht überstrapazieren und fühlen uns auch sehr wohl vor Anker. Trotzdem, bevor wir nach 5 Tagen wieder weiter segeln, gehen wir doch noch einmal kurz bei der Amalia längsseits und bunkern am Steg Frischwasser. Unseren Wassermacher haben wir nämlich noch nicht wieder in Betrieb genommen, das trübe Chesapeakewasser setzt die Filter sonst recht schnell zu.

Übrigens ist es inzwischen recht frisch geworden hier, nachts geht es runter bis auf 5 Grad Celsius. Wird wirklich Zeit, weiter nach Süden zu segeln. Also nicht wundern, warum die Kuchenbude aufgebaut ist 😊. Sie wird auch ihrem Namen entsprechen genutzt:

Pure Vida.

Queen of Halloween

Reedville. Steve und Helena mit der Amalia haben uns hier her gelockt, der Halloween-Umzug soll eine echte Show sein. Wir freuen uns, die beiden wieder zutreffen und so finden wir uns pünktlich am Abend vor Halloween gemeinsam am Ankerplatz ein.

“All hallows eve”, Abend vor Allerheiligen, das soll wohl der ursprünglich aus Irland stammende Hintergrund des Volksfestes mit Kürbisschnitzereien, Gruselfiguren und “trick or treat” sein. Kinder und Jugendliche, manchmal auch Erwachsene ziehen verkleidet von Haus zu Haus um Süßigkeiten abzustauben. Einige Horrorfilme haben das Thema schon aufgenommen, wie in fast jedem Jahr gibt es auch diesmal wieder Aggressionen, Gewalt und Schießereien irgendwo im Land in dieser Nacht, aber das ist nicht das typische Halloween. Klar, wir wären nicht in Amerika, wenn es nicht auch grelle und bunte Formen annehmen würde. Aber dennoch, es ist ein unbestrittener Höhepunkt im Jahr für die Kinder, dem lange Vorbereitung, Basteleien, Kostümierung und Hamsterkäufe an Süßigkeiten vorausgehen. Ein bisschen wie die regionalen Bräuche des Klausens und Martinssingens unserer Kindheit zusammen, noch eben alles eine Spur größer.

Beim Rundgang durchs Dorf treffen wir am frühen Nachmittag Rob, der vor seinem überaus üppig dekorierten Haus nach eigenem Bekunden gerade den dreißigsten Kürbis schnitzt. Ja, er sei schon Halloween-verrückt, schon von Kindesbeinen an, aber seine Frau Susan, die sei die wahre Queen of Halloween! Über 1.000 Süßigkeiten-Riegel würden sie an diesem Abend an die Kinder verteilen. COVID-bedingt waren es im letzten Jahr “nur” 600. Er habe extra eine Drachenrutsche gebaut, über die die “treats” mit Social Distancing zu den Kindern rutschen. Das haben sie für dieses Jahr beibehalten.

So richtig schön werde es erst in der Dämmerung, dann kämen auch Autos und sogar Busse mit Kindern aus dem ganzen County hier nach Reedville. Wir versprechen, nachher wiederzukommen. Bummeln noch ein wenig durch den Ort und lassen die Dekorationen auf uns wirken.

Dann geht die Sonne langsam unter und die Strasse füllt sich.

Kleine Schlangen bilden sich vor einigen Häusern, mit „Happy Halloween“ füllen sich auch die Taschen der Kinder.

Auch Erschrecken gehört dazu, hier wird eine Riesenspinne aus dem Baum per Seil von der Terrasse aus auf die mehr oder weniger überraschten Kinder fallen gelassen. Die nehmen es mal mit Kreischen, mal betont cool auf.

Und die leuchtenden, sich mit Pressluft bewegenden Figuren vor dem Haus von Rob und Susan stechen natürlich besonders heraus. Die beiden freuen sich sichtlich über den Andrang. Queen of Halloween.

Für uns hat Reedville aber noch einen ganz anderen Charme, der sich am nächsten Morgen wieder zeigt. Unser Ankerplatz liegt herrlich im Wirrwarr der Verästelungen des Creeks (wie Lungenkapillaren, hatte ich in einem anderen Beitrag mal geschrieben). Auf der Navionics Seekarte sieht das so aus:

Und in der Realität, noch viel schöner, so:

Pura Vida.

Halb so wild

Wir haben Glück und einen gut gewählten Ankerplatz. Zwar tobt es draußen auf der Chesapeake tatsächlich mit bis zu 10 Windstärken und auch die auf Windfinder abrufbare Windmessstation direkt vor Solomon‘s zeichnet Böen bis 43 kn auf.

Aber ein paar hundert Meter weiter drinnen im Creek bekommen wir selbst in 20 m Masthöhe nur noch knapp 29 kn ab, mittlere Windstärke 7. Das ist kein Problem, unser Anker hält gut. Es regnet allerdings den ganzen Tag wie aus Eimern, ist grau und diesig.

Zeit, sich unter Deck einzukuscheln, zu lesen, einen Film zu schauen, und Duolingo freut sich auch über die Fortschritte in unseren Spanisch-Lektionen.

Heute sieht der Himmel wieder blau aus, wir verabschieden uns noch von Mareike in Zahnisers Marina und dann geht‘s ein weiteres Stückchen Richtung Süden.

Erst herrlich unter Segeln aus der Mündung des Patuxent River hinaus auf die Chesapeake Bay, aber dann müssen wir doch wieder den Motor anwerfen. Der wenige Wind kommt jetzt genau auf Floras Nase und wir müssen die fast 20 sm breite Mündung des Potomac queren. Nach 45 sm fällt der Anker in Reedville. Immerhin, damit sind wir schon mal im nächsten Bundesstaat Virginia angekommen.

Das heißt auch, dass wir uns telefonisch bei dem nächsten CBP-Bezirk anmelden müssen.

Ein echter Weißkopfseeadler erinnert uns freundlicherweise daran. 😁

Hatten wir im Sommer noch auf buchstäblich jedem zweiten Seezeichen brütende Fischadler (Ospreys) gesehen, sind die inzwischen fast alle verschwunden. Etwa ab Anfang Oktober ziehen sie nach Süden in ihre wärmeren Winterquartiere. Da schließen wir uns gerne an, es ist merklich kühler geworden, unsere Bordheizung läuft gelegentlich schon.

Umso schöner, wenn der Platz eines Osprey dann von seinem noch größeren Verwandten eingenommen wird. Tatsächlich sehen wir heute sogar mehrfach Weißkopfseeadler (Bald Eagle), was auch verdeutlicht, dass der zum Ende des letzten Jahrhunderts stark gefährdete Bestand des US-Wappenvogels inzwischen wieder deutlich erholt hat.

Pura Vida.