Warnhinweis für Nichtsegler und Noch-Nicht-Segler: Mal wieder ein SEHR technischer Beitrag. Ich hoffe, die Bilder machen es etwas klarer. Ansonsten: lasst Euch nicht abschrecken! Vor dem Wind segelt eigentlich auch ein Ballen Stroh! Schlimmstenfalls: diesen Beitrag ausnahmsweise einfach „nicht mal ignorieren“ ! 😉

Vor unserer Langfahrt haben wir uns viele Gedanken gemacht, welche Besegelung in den Passatwindzonen wir für unser Boot vorsehen (dazu hatte ich hier schon etwas geschrieben). Vorhanden waren Großsegel, Fock, (135%-)Genua und Rollgennaker. Wir haben uns letztendlich gegen ein spezielles Passatsegel (oder auch einen Blue-Water-Runner oder einen Parasailor) und für einen modifizierten Code0 zur Ergänzung der Segelgarderobe entschieden. Modifiziert insoweit, als wir mit dem Segelmacher den voraussichtlichen Einsatzzweck als ausgebaumtes Vormwindsegel und nur in zweiter Linie als Leichtwind-Amwindsegel besprochen haben. Das Schothorn ist deshalb etwas höher geschnitten, als Segeltuch haben wir statt Code0-Laminat ein schweres Spinnakertuch (MPEX 300, 130 gr/qm) gewählt. Unser Code0 ist mit einem Antitorsionskabel im Vorliek auf einer Rollanlage mit Endlosleine montiert, hinten am Cockpit läuft die Endlosleine durch einen Doppelblock mit Klemmen. Im Längssack an der Reling angeschlagen, ist der Code0 schnell gesetzt oder geborgen und verstaut. Mit dem Segel waren wir schon vor der Passatzone hochzufrieden, es hat sich bereits im Mittelmeer bei leichteren Winden als echter Allrounder und Schwachwindturbo erwiesen und lässt sich selbst bei stärkerem Wind noch gut von Hand einrollen. Auf Teneriffa haben wir im Schothornbereich noch Klettstreifen nachrüsten lassen, die ein unbeabsichtigtes Ausrollen verhindern.

Und wie hat sich das Segel nun im Passat der Atlantiküberquerung geschlagen?
Zunächst einmal: es kam weniger zum Einsatz als erwartet, wir sind mehr „Schmetterling“ gefahren als erwartet. Das lag daran, dass der Passatwind bei unserer Überfahrt Mitte Dezember 2019 ziemlich stark blies. In der ersten Woche von Mindelo auf den Kapverden aus hatten wir praktisch durchgehend sechs bis sieben Windstärken, selten auch mal Böen die untere acht Windstärken erreichten. Eher nicht das perfekte Einsatzgebiet für ein 80 qm großes Segel. Wenn aber der wahre Wind unter 20 kn fiel konnte es seine Stärken voll ausspielen, vor allem, weil das Umstellen der Besegelung so einfach war, denn der Code0 ist auf der Gennakernase angeschlagen und blieb aufgerollt auch bei Nichtbenutzung stehen.

Wie ist nun unser Setup insgesamt?
Wir haben auf der Passage beide Spibäume permanent ausgestellt geriggt. Jeder ist zur Spibaumnock hin mit Topnant, vorderem Niederholer zur Vorschiffsklampe und achterem Niederholer zur Mittelklampe gesichert. Da wir nur einen echten Topnant haben, dient beim Backbordspibaum das Ersatzgenuafall als Topnant. Auf eine Ausführung der Topnanten als Hahnepot haben wir verzichtet, wichtig ist nur, sie zur Baumnock und nicht etwa zu einem mittiger auf dem Spibaum angeschlagenen Haltebügel zu führen, weil sonst erhebliche Biegekräfte auf den Spibaum wirken. Die Backbord-Spischot ist durch die Spibaumnock zum Schothorn des Code0 geführt. Entsprechend läuft die Steuerbord-Spischot durch die Spibaumnock des Steuerbord-Spibaumes zum Schothorn der Fock.





Die normalen Fockschoten bleiben ebenfalls angeschlagen. Das hat gleich mehrere Vorteile: zum einen kann so sehr leicht die Spischot auf Schamfil-Stellen (insbesondere dort, wo sie in der Spibaumnock liegt) kontrolliert werden, indem die normale Fockschot dichtgeholt und die Spischot lose gegeben wird. Zum zweiten wird dadurch ermöglicht, die Fock „ganz normal“ zu fahren, falls doch einmal höher als ca. 120 Grad zum Wind gesteuert werden muss. Bei uns war das z.B. am Anfang der Passage in den Turbulenzen hinter Santo Antão der Fall. Die Fock kann bei dieser Konfiguration sogar gewendet und normal an Backbord gefahren werden. Im Prinzip hat die Fock ansonsten fast die ganze Passage über an Steuerbord ausgebaumt gestanden, wobei wir sie dabei zweimal etwas eingerefft hatten.
Bei Winden über 20 kn (TWS) fahren wir dazu das Großsegel (Schmetterling, also auf der gegenüberliegenden Seite zur Fock), bei mehr Wind reffen wir dann das Groß entsprechend ein. Der Bullenstander zur Sicherung des Großbaumes ist auf der Passage permanent an der Großbaumnock angeschlagen und außen zur Bugklampe und dann dort hindurch zurück auf die Backbord-Spinnakerwinsch im Cockpit geführt. Er lässt sich also vom Cockpit aus fieren oder dichtholen.
Bei wahrem Wind unter 20 kn rollen wir an Backbord zusätzlich den Code0 aus und nehmen dafür das Großsegel weg. Der Vorteil liegt nicht nur in der größeren Segelfläche des Code0 gegenüber dem Großsegel, sondern vor allem in einem etwas verminderten Rollen des Bootes und einem geringeren Arbeitspensum (und damit auch Stromverbrauch) unseres elektrischen Autopiloten.

Sind wir mit dem Setup zufrieden? Ja, sehr sogar. Es hört sich etwas kompliziert an und sieht mit den vielen geriggten Leinen auch erstmal so aus, ist aber extrem einfach zu bedienen und variabel in den Möglichkeiten, sich an geänderte Windverhältnisse anzupassen. Dazu ist auf der Passage keine Turnerei auf dem Vorschiff erforderlich, alles lässt sich sicher von hinten regeln. Gut war, dass wir statt der 135%-Genua die Arbeitsfock angeschlagen haben. Die Genua lässt sich mit ihrem niedrigen Schothorn nur schwer ausbaumen und hätte vermutlich ohnehin dauernd gerefft sein müssen. Der Größenunterschied zwischen Fock und Code0 bei gleichzeitiger Nutzung der beiden als Passatsegel hat nicht zu einer größeren „Unwucht“ mit spürbarem Effekt auf die Ruderlage geführt, aber vor dem Wind ist ja auch der Druckpunkt beider Segel nach vorn gerichtet und nahe am Bug, worauf wir auch die geringere Neigung zum Rollen zurückführen. Der Code0 hat sehr dabei geholfen, dem Atlantikschwell in leichtwindigeren Phasen genug Druck im Segel entgegenzusetzen.
Wäre ein extra Passatsegel nötig gewesen? Ganz klar nein, auch der Code0 nicht. Auch unter Schmetterling ließ sich das Boot im stärkeren wie im normalstarken Passat wunderbar fahren. Am Ende ist es immer die Frage, welchen der vielen möglichen Kompromisse man eingehen möchte. Wir sind aber trotzdem oder gerade deshalb sehr froh, dass wir uns für den Code0 entschieden haben, denn den setzen wir auch unabhängig von der langen Vormwindstrecke sehr gerne und sehr häufig ein. Ein gar nicht beabsichtigten „Nebeneffekt“ ist, dass wir unsere Fock sehr schätzen gelernt haben, die zuvor ein reines Reservistendasein geführt hatte. Die Genua war auf der Rollanlage angeschlagen und weil der Wechsel ja doch ein ziemlicher Aufwand ist, blieb sie es meist das ganze Jahr. Gerade wenn schon mehr Wind ist, möchte man nicht mehr wechseln, sondern fährt dann eben die Genua gerefft. Da steht allerdings die Fock besser und lässt das Boot auch mehr Höhe laufen. Der Nachteil der Fock bei wenig Wind und auf raumeren Kursen wird nach unserer Erfahrung mit dem leicht einsetzbaren Code0 deutlich überkompensiert.

Die gelbgrünen Flecken auf dem Wasser an Steuerbord sind übrigens Sargassum.