Adler, Flaggen und Abschied

Ich glaub, es geht schon wieder los (o.k., der Schlagerabend zum Abschied von der Crew der Easy-One sitzt mir noch in den Knochen). Aber tatsächlich kündigt sich nach der heftigen letztjährigen Saison die neue und als wiederum überdurchschnittlich prognostizierte Hurrikansaison langsam an, schon der dritte Tropensturm wurde benannt: Claudette. Der Landfall war war weit entfernt an der Südküste der USA und er richtete in Luisiana, Mississippi, Alabama und Teilen Floridas Unheil an, aber die Überbleibsel ziehen auch hier in der Chesapeake Bay vorbei.

Zunächst mal wird es nur etwas grau, aber wir verlassen trotzdem die Mobjack Bay und nutzen die Zeit vor dem Durchzug der Front und dem damit verbundenen Windsprung dazu, uns etwas weiter nach Norden in die Fishing Bay vor Deltaville zu verholen. Die Ausfahrt von unserem Ankerplatz im East River bei Mathews macht einmal mehr deutlich, wie weit verbreitet die Fischadler hier sind. Buchstäblich auf mindestens jedem zweiten Seezeichen hier brüten diese majestätischen Greifvögel derzeit und lassen sich dabei auch von dem Boot der ihren Bruterfolg überwachenden Biologen nur kurzzeitig aufschrecken:

Mathews hat uns wieder gut gefallen, anders als letztes Jahr passen wir dieses Mal auch die Dinghyfahrt in den Ort gut an die Tide an, erwischen wirklich die Zeit um Hochwasser und müssen deshalb nicht das letzte Stück durch den Schlamm staken. Neben dem Einkauf im FoodLion bleibt uns noch Zeit für ein Sandwich im urigen lokalen Diner und einen kleinen Rundgang durch das Örtchen. Eines fällt besonders auf: der in den USA ohnehin üppige Flaggenschmuck mit den „Stars and Strips“ wird hier noch einmal getopt:

Auf einer Wiese im Ortskern wehen die Flaggen dicht an dicht. Nun ist das Verhältnis der meisten US-Amerikaner zu ihrer Flagge ohnehin von einem starken Patriotismus geprägt. Flaggen wehen an vielen Häusern, nicht nur zu nationalen Festtagen. Das muss nicht zwingen in Nationalismus gesteigert sein, die ausgedrückte Liebe zum eigenen Land also nicht in Geringschätzung anderer Länder umgeschlagen sein, aber es wirkt auf uns trotzdem erst einmal etwas fremd. Und die Erklärung auf einem am Rand angebrachten Schild wirkt denn auch ziemlich pathetisch: Flags for Heroes, Flaggen für Helden. Wir erfahren, dass der örtliche Rotary Club hier von Sponsoren bezahlte Flaggen aufstellt, ein kleiner Sticker an jeder Flagge benennt den Sponsor und denjenigen, der für ihn eben ein „Held“ ist. Auf den ersten Schildern lesen wir mehrere Army- oder Navymitglieder mit ihren Dienstgraden und teilweise den Kriegen, in denen sie eingesetzt waren. Aber darin erschöpft es sich nicht. Weitere Schilder benennen zum Beispiel die Mutter, den Pastor, sogar den Manager des örtlichen Supermarktes und viele andere Helden des Alltags. Da wird der Umgang mit der Flagge dann deutlich vom Nationalen abgekoppelt.

Etwas im Gegensatz dazu scheint uns zu stehen, dass an den Segelbooten die Flaggenführung häufig nicht sehr ausgeprägt ist. Wir sehen viele Boote, die keine Nationale führen. Das war auch schon auf den Bahamas bei mehreren Yachten so, die sich dann später als amerikanische Boote erwiesen. Flaggenführung aus Formalismus oder bloß wegen internationaler Gepflogenheiten ist möglicherweise eher nicht so angesagt. Auch bei unserem Nachbarlieger können wir keine Flagge erkennen, lediglich der Heimathafen am Heck zeigt die Herkunft des Amerikaners.

Von Claudette bekommen wir dann übrigens vor Anker in der wunderschönen Fishing Bay nicht allzu viel mit, nur ein etwas regnerischer Tag, aber die später losgefahrene Easy-One muss ihre Fahrt dann doch noch einmal unterbrechen, umdrehen und sich hinter einer Landzunge verstecken um den kräftigen Winden zu entgehen. Und auch wir drehen nochmal um, denn als wir aus der Fishing Bay gerade wieder heraussegeln kommt uns an der Mündung des Piankatank River die Easy-One entgegen! Sie sind inzwischen wohlbehalten hier angekommen. Wir drehen um und laufen mit ihnen wieder ein. Das Wetter ist auch wieder besser und so können wir heute eine ausgiebige Fahrradtour mit den Leihfahrrädern der Marina machen. Unsere Wege trennen sich hier erst einmal, die Easy-One möchte in der Fishing Bay eine Pause einlegen, wir mit der Flora noch etwas die Chesapeake Bay hinauf segeln, weshalb wir am Abend eben mit Schlagersingen und Erinerungen an die letzten vier Monate den traurigen Abschied so gut es eben geht in Freude über das gemeinsam Erlebte umwandeln.

Um das Kap Hatteras in die Chesapeake Bay

Das Cape Lookout und insbesondere das Kap Hatteras genießen trotz ihrer optischen Schönheit unter Seglern einen eher zweifelhaften Ruf. Das liegt an den vorgelagerten Flachs, der schlechten Sichtbarkeit der niedrigen Outer Banks, vor allem aber an den Strömungen. Als wäre der Golfstrom nicht schon genug, arbeiten sich Ausläufer einer zweiten atlantischen Hauptströmung, des aus dem Nordpolarmeer kommende relativ kalten Labradorstroms eng an der Küste bis hier hinunter und drängen ab hier den Golfstrom nach Osten ab. Das ergibt eine intensiv arbeitende Wetterküche, die für unseren geplanten etwa 230 sm langen Übernachttörn in die Chesapeake Bay eben ein wohlgewähltes Wetterfenster erfordert.

Allzu zimperlich können wir da nicht sein, und so nehmen wir gemeinsam mit mindestens sechs anderen Booten die Chance eines Flautentages mit anschließend einsetzendem Südwestwind gerne wahr, auch wenn damit eine längere Strecke unter Motor verbunden ist.

Noch vor Sonnenaufgang gehen wir Anker auf, mogeln uns im ersten Büchsenlicht aus dem Barden Inlet und fahren erst einmal fast 10 sm in die “falsche” Richtung nach Südsüdosten um das weit aus greifende Flach vor Cape Lookout herum. Erst dann können wir nach Nordost Richtung Kap Hatteras schwenken.

Auf dem ersten Stück brausen trotz (bzw. wegen) der frühen Stunde die Sportfischerboote des Wettbewerbs in Beaufort rechts und links um uns herum, rauschen mit bis zu dreißig Knoten knapp an uns vorbei in Richtung Golfstrom und wühlen das Wasser dabei ziemlich auf.

Immerhin, noch können wir (wenn auch gelegentlich von den Motorbootwellen durchgeschüttelt) segeln, aber mit steigender Sonne setzt leider Flaute ein, wie vorhergesagt wird es ein Tag mit auch bei Flora rotierendem Motorstundenzähler. Wir trösten uns damit, dass wir sieben Segelboote zusammen am Tag weniger Diesel verbrauchen als eins dieser Boote in ein oder zwei Stunden.

Wir nutzen den von der Lichtmaschine im Überfluss bereitgestellten Strom, um vor der brackigen Chesapeake Bay unsere Frischwassertanks per Wassermacher noch einmal komplett voll zu machen.

Immerhin, zum Abend setzt der Wind langsam wieder ein und unter Groß und Code0 gleiten wir in die Nacht hinein.

Nachts haben wir zum Glück trotz Küstennähe nur relativ wenig Schiffsverkehr. Wechsel auf die Fock, zurück auf den Code0, Motorsegeln, weitere Segelwechsel und dann doch wieder längere Zeit motoren, so zeigt sich der zweite Tag.

Außerdem haben wir endlich wieder einmal Angelerfolg, eine schöne Spanische Makrele können wir an Bord ziehen. Trotzdem, das lange motoren hinein in die große Chesapeake Bay zieht sich, insbesondere nachdem wir das imposante Bauwerk des Chesapeake Bay Bridge Tunnels passiert haben, das sich mehr als 28 Kilometer lang über die Mündung der Bucht erstreckt. In beide Richtungen unserer Durchfahrt über einen der zwei Tunnelabschnitte läuft die Brücke aus unserem Blickfeld hinaus.

Und danach geht es eben noch stundenlang unter Motor weiter bis hinüber auf die westliche Seite der hier sehr breiten Bucht. Erst gegen 17.00 können wir den Anker im East River der Mobjack Bay fallen lassen. Es fühlt sich an, als wären wir in einem stillen, von hohen Bäumen und schönen Häusern umstandenen See vor Anker gegangen. Die Escape ist schon da, Easy-One und Tropicool finden sich kurz nach uns ein und ankern nicht allzu weit entfernt.

Keine 100 m hinter unserem Schiff hat ein Fischadler sein Nest auf einem Pfahl im Wasser gebaut, sein Schrei klingt durch die Abendstille über das glatte Wasser.

Schön, wieder hier zu sein.