Eine Planung ist ja die gedankliche Vorwegnahme von Handlungsschritten in Bezug auf ein Ziel. Man wägt Handlungsalternativen gegeneinander ab und fragt sich, wie man am besten das dem eigenen Gestaltungswunsch entsprechende Ziel erreicht. Oder simpler: was möchte man, was geht, wie geht’s?
Corona hat weltweit dafür gesorgt hat, dass bisherige Planungen (Reisepläne allemal, aber auch wesentlich wichtigere, manchmal gar existenzielle Dinge) durch den gedanklichen Schredder liefen. Gefühlt vor langer Zeit, tatsächlich aber ist die Bedrohung durch die Covid-19-Erkrankung überwiegend erst ab Anfang diesen Monats langsam in das Bewusstsein der meisten Menschen der westlichen Welt gesickert.
Nun gehört es ja zum Wesen jeder Planung, dass es eben auch anders kommen kann. Dann muss man die Planung überarbeiten, einen geänderten Plan machen. Handlungsalternativen neu bewerten. Allerdings: welche Handlungsalternativen? Die mittlere der simplen Fragen, “Was geht?” ist in Corona-Zeiten jedenfalls für die nähere Zukunft nicht einfach zu beantworten.
Für die Crew der Flora und für die meisten Segler hier in der Karibik ist die Begrenzung “nähere Zukunft” verknüpft mit dem Beginn der Hurrikansaison. Die ursprüngliche Planung sah dafür fast durchgehend vor, aus dem Hurrikangebiet herausgesegelt zu sein. Nach Norden an die US-Ostküste (unser Plan), nach Süden (je nach Versicherungsbedingungen Grenada, Trinidad, Kolumbien oder gar Surinam), nach Osten über den Atlantik zurück Richtung Europa oder nach Westen durch den Panamakanal in den Pazifik, letzteres dann idealerweise schon ein paar Monate früher.
Offiziell beginnt die Hurrikansaison am 01. Juni und endet am 30. November. Unsere Versicherung hat eine Ausschlussklausel für Sturmschäden im Hurrikangebiet in der Zeit vom 01. Juli bis 15. November. Und tatsächlich treten Hurrikans in der Karibik typischerweise erst ab Juli auf. Blöderweise zeigen sie keine allzu große Neigung, sich an Regeln zu halten, 2016 etwa hat sich Hurrikan Alex Mitte Januar (!) über die Bermudas und die Azoren hergemacht. Davon abgesehen waren die jeweils ersten Hurrikans der letzten fünf Saisons: Danny ab 18.08.2015, Earl ab 02.08.2016, Franklin ab 07.08.2017, Beryl ab 05.07.2018 und Berry ab 11.07.2019. Statistisch hätten wir also noch etwa drei Monate Zeit. Etwas komplizierter wird es noch dadurch, dass 2020 ein “El Niño”-Jahr erwartet wird, was das Wettergeschehen nochmals durcheinander bringt, im Nordatlantik allerdings eher etwas geringere Sturmneigung erhoffen lässt. Nebenbei bemerkt: die Namen beginnen in jedem Jahr mit A und arbeiten sich dann im Alphabet weiter, die Anfangsbuchstaben der ersten Hurrikans der Jahre zeigen also, dass jeweils vorher schon benannte tropische Stürme auftraten. Die haben aber eben nicht Hurrikanstärke erreicht, wir möchten ihnen aber trotzdem mit dem Boot nicht begegnen.
Gleichwohl: schauen wir bei uns selbst zurück, beschäftigt uns Corona etwa seit einem Monat und hat in dieser Zeit Veränderungen mit sich gebracht, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Wie sollen wir jetzt die Veränderungen der nächsten drei Monate abschätzen?
Bei einem Treffen von Blauwasserseglern wird typischerweise zunächst nach dem gegenseitigen “woher” und “wohin” gefragt. Man kann Erfahrungen austauschen, vielleicht gemeinsame Pläne schmieden. Manchmal bekamen wir auf unsere Fragen auch wunderschöne offene Antworten wie “Wohin der Wind uns treibt, wir sind ja Zeitmillionär.” Oder fast philosophische wie “Unser Plan ist, keinen Plan zu haben.”
Derzeit bewirkt die Corona-Krise, dass von allen Reiseplänen nur der Plan keinen Plan zu haben ziemlich gut aufgeht. 😉
Das lässt sich in der Praxis aber nur schwer aushalten, wenn es nicht mehr darum geht, aus den vielen Optionen spontan die günstigste zu wählen sondern wirklich PLANLOS darauf zu warten, dass sich (bis zum Beginn der Hurrikansaison) irgendeine Option auftut.
Vielleicht ist so auch zu erklären, dass aus der Zurückseglergruppe Wünsche geäußert wurden, die ein großes Presseecho in Deutschland ausgelöst haben und deshalb auch zu besorgten Rückfragen bei uns geführt hat, bei den Adressaten, bei uns und auch bei vielen anderen Seglern aber Befremden auslösen. Der überzogene Wunsch einer Begleitfregatte der Bundesmarine für den Rückweg über den Atlantik nach Europa erweist den seemännisch sehr viel einsichtigeren Forderungen nach dem Einsatz für Planungssicherheit ermöglichende offene Nothäfen und Quarantänestege bzw. Quarantäne-Ankerbuchten aus unserer Sicht einen Bärendienst. In der Gruppe befinden sich neben geplanten Atlantikrunde-Seglern auch Crews von Booten, für die ursprünglich andere Pläne galten, die sich selbst nicht optimal aufgestellt sehen und die damit verständlicherweise ein höheres Maß an Planbarkeit für nötig erachten.
Für uns auf der Flora ist die Rückreise im Convoy über den Atlantik derzeit keine Option. Mindestens mal für die nächsten zwei Monate versuchen wir die Nichtplanbarkeit zu akzeptieren und hinsichtlich der Weiterfahrt planlos zu sein.
Solange es uns möglich ist, wollen wir hier auf Antigua genießen, was bei diesen Umständen genossen werden darf und relativ sicher genossen werden kann. Unser Boot, unseren Ankerplatz, die Strände, auch gelegentliche abstandswahrende Treffen mit anderen Seglern im kleinen Kreis. Wir sind froh, dass das hier bisher noch erlaubt ist. Allerdings ist gerade verkündet worden, dass ab Donnerstag Mitternacht (erst mal für eine Woche) eine komplette Ausgangssperre erfolgen soll. Details (z.B. darf man einkaufen gehen?) sind noch unklar.
Uns hat es jedenfalls vorgestern ermöglicht, mit Steve und Helena von der Amalia einen schönen Spaziergang um Pearns Point herum und über die leeren Nordstrände zum dortigen “Blowhole” zu machen, durch das die Brandung meterhohe Fontänen presst.


Und wenn wir jetzt verstärkt auf uns und unser Boot zurückgeworfen sind, lässt sich das trotzdem vergleichsweise gut aushalten (glauben wir zumindest). So sieht’s aus:

Wir wünschen allen die mit Covid-19 infiziert oder sonst krank sind einen milden Verlauf und allen anderen: bleibt gesund!