Orcas zum Abschied

Die Chance in British Columbia Orcas zu sehen, ist eigentlich ziemlich groß. Vier verschiedene Populationen gibt es hier. Erstaunlicherweise mischen sie sich nicht, obwohl sich ihre Verbreitungsgebiete überlagern. Sie haben unterschiedliche Verhaltens- und Ernährungsweisen, Forscher haben zudem für die jeweilige Population unterschiedliche Laute und Kommunikationsfolgen bei diesen intelligenten Tieren erkannt und gehen von regelrecht verschiedenen Sprachen aus.

Da sind zum einen die Offshore-Population am Kontinentalschelf vor der Westküste, die sich ausschließlich von Fisch ernährt (unter ihrer Beute finden sich selbst Haie). Die zweite Gruppe bilden die sogenannten „Transients“. Sie ziehen in Küstennähe herum und jagen ganz überwiegend maritime Säugetiere, vor allem Seehunde und Seelöwen, aber auch Delfine und sogar andere Walarten wie zum Beispiel Schweinswale (daher auch die oft reißerisch verwendete Bezeichnung „Killerwal“).

Die dritte und vierte Gruppe bilden die nördlichen und die südlichen „Residents“. Beide Gruppen ernähren sich fast ausschließlich von Lachs. Die beiden Gruppen lassen sich nicht nur geografisch sondern auch genetisch unterscheiden, scheinen sich gegenseitig zu meiden und paaren sich auch nicht miteinander.

Trotz der vier Gruppen: nur insgesamt drei Mal haben wir bisher Orcas gesehen, allerdings jeweils ziemlich kurz und aus großer Entfernung. Es waren vermutlich jeweils Northern Residents.

Jetzt in den Gulf Islands hatten wir ein bisschen auf Southern Residents gehofft, die sich hier häufiger aufhalten sollen. Aber bisher: Fehlanzeige.

Von Saturna Island aus segeln wir nach Portland Island. Als wir ankommen, ist der im Törnführer empfohlene aber ohnehin ziemlich flache Ankerplatz in der Princess Bay bereits gut belegt.

Ist aber kein Problem: nur 500 m weiter um die Ecke herum sieht es laut Seekarte ebenso geschützt aus, sogar etwas tiefer und weiter vom Schwell der vorbei fahrenden Fähren entfernt. Wir probieren es, der Ankergrund ist gut und hier sind wir ganz allein.

Das Beste: zum Dinghydock in der Princess Bay ist es nur ein kurzer Weg, so können wir trotzdem einen schönen Hike auf der unbewohnten Insel machen und uns an den dort wild wachsenden Brombeeren gütlich tun.

Am nächsten Tag motoren wir bei Windstille aus den Gulf Islands hinaus, passieren die kargen Chatham Islands bei mitsetzender Tide …

… und sind damit in der Strait of Juan de Fuca, quasi der südlichen Ausfahrt von BC. Abschiedstour. Hm. Als die Tide kentert biegen wir nach Victoria ab.

Sommer in der Stadt: zwei Tage genießen wir strahlenden Sonnenschein, blauen Himmel und warme 28 Grad. Verglichen mit der Westküste von Vancouver Island ist es hier tatsächlich regelmäßig um einige Grade wärmer.

Wir treffen noch einmal Eliza und Ben. Ben fährt „als Rentnerjob“ im Sommer eines der knuffigen und für Victoria so typischen Hafentaxis. Er macht uns ein wunderbares Abschiedsgeschenk: eine Privattour mit einer der elektrischen Hafenfähren.

Die Route führt vom Liegeplatz an der ikonischen Klappbrücke durch die „Gorge Waters“ mit ihrer bunten Mischung aus Industriehafen, neuem modernen Stadtviertel, Naturbadeanstalten und – weiter den eigentlich nicht wirklich einer Schlucht ähnelnden sondern eher lieblich gewundenen Wasserweg hinauf – auch mit elegant edlen Wassergrundstücken mit Einzelhäusern und Bootsstegen.

Es ist ein herrlicher Einblick in Teile von British Columbias Hauptstadt, die wir bisher noch überhaupt nicht kannten.

Und dann: ist das jetzt ein Wetterfenster? Jedenfalls nutzen wir vorsichtshalber am nächsten Morgen wieder die Tide und fahren die Juan de Fuca weiter hinaus. Mit bis zu 5,5 kn werden wir zwischenzeitlich (zusätzlich zur etwa gleichen Geschwindigkeit durchs Wasser) geschoben, die „Race Passage“ mit dem markanten Leuchtturm auf dem „Great Race Rock“ wird ihrem Namen gerecht.

Auch das ein Geschenk, und die Serie reißt noch nicht ab. Einige Meilen weiter – da hat die Strömung längst wieder auf „nur noch“ zwei Knoten nachgelassen, treffen wir auf einen Clan „Southern Residents“. In mehreren Gruppen ziehen uns die Orcas entgegen. Zunächst sehen wir eine Familie in Ufernähe auftauchen. Wir nehmen den Gang heraus und lassen uns von der Strömung vorbei treiben, aber da kommen uns bereits rechts und links von der Flora weitere Gruppen von Orcas entgegen geschwommen.

Wegen ihrer charakteristischen Rückenflossen, die bei den Männchen schmaler und gerader sind und bis zu 2 m lang werden können, werden sie auch als Schwertwale bezeichnet. In Europa können Segler die Begegnung mit den Orcas leider nicht mehr uneingeschränkt genießen, da es – zunächst vor Spanien, jetzt aber auch an anderen Orten – zu einer Vielzahl von zerstörerischen Angriffen der Orcas auf die Ruder von Segelyachten gekommen ist, mehrere Segelboote sind sogar gesunken. Hatten zunächst auch dort nur wenige Mitglieder einer einzelne Orcafamilie dieses Verhalten gezeigt, hat es sich inzwischen dort weiter verbreitet. Hier in BC und an anderen Orten der Welt (Orcas kommen in allen Weltmeeren vor) zeigen die Schwertwale dieses Verhalten aber (bisher) nicht. Es ist also um so schöner, hier jetzt ohne derartige Befürchtungen so viele dieser wunderschönen Tiere sehen zu können.

Wir sind total geflasht. Was für ein Erlebnis.

Victoria, Vancouver Island.

Nun also Großstadt. Nach gut einem Jahr Segeln durch die größtenteils nur spärlich besiedelten Gebiete von Alaska und British Columbia laufen wir mit der Flora in Victoria ein. Hauptstadt der kanadischen Provinz British Columbia, Sitz des Parlaments, internationaler Fährhafen und Kreuzfahrt-Terminal.

Und doch: Großstadt ist schon ein bisschen geschummelt. Victoria selbst hat nur rund 80.000 Einwohner im eigentlichen Stadtgebiet, die Metropolregion Greater Victoria kommt aber auf fast 400.000.

Für uns fast ein Kulturschock: mehr Einwohner als Seeotter! 😊

Die Einfahrt mit Flora erfordert denn auch eine andere Art von umsichtiger Navigation. Statt Kelpfeldern auszuweichen sind Fahrwassertonnen zu beachten, wie wir sie bisher noch überhaupt nicht hatten: gelbe Bojen markieren den Trennstreifen für ein- bzw. ausfahrende Yachten, sie sind eng an Backbord zu lassen. Dahinter ist zwar reichlich Platz, aber das ist die Start- und Landebahn für die vielen Wasserflugzeuge, die sich ihre Runway zudem mit den Fähren teilen müssen. Die “Coho” pendelt zwischen dem US-Amerikanischen Port Angeles und Victoria, sie macht im inneren Hafen jenseits der Engstelle fest und muss zu Ausfahrt in diesem Becken auch noch drehen. Als wäre das alles noch nicht genug, flitzen noch reichlich kleine Hafenfähren wie Busse zwischen den verschiedenen Anlegern hin und her, Whalewatchingschiffe und Whalewatching-Zodiacs, außerdem eine Vielzahl von knuffigen Wassertaxis.

Der Revierführer Waggoner warnt: “HEAVY TRAFFIC”, “USE CAUTION”.

Aber da müssen wir durch, denn wir haben einen Platz in der Causeway Marina, ganz drinnen im inneren Hafen.

Und was für ein Platz. In der ersten Reihe, direkt vor dem “Empress”, dem wie ein Loire-Schloss gestalteten Grand Hotel im Stadtzentrum.

Vom Cockpit aus beobachten wir die Menschen (gefühlt: -massen), die zwischen uns und dem Hotel auf der Promenade bummeln, sich von Gauklern, Predigern und Souvenirsverkäufern unterhalten lassen und dann am Ufer weiter zum um die Ecke liegenden Parlament schlendern.

Erstaunlich: vor dem Parlament der einzige von einem Loon gekrönte Totempfahl, den wir bisher gesehen haben. Loon, der Seetaucher, der auch die 1$-Münze (=Loonie) ziert. Loon bedeutet im englischen allerdings auch “Blödmann”. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Auch erstaunlich: das Parlament ist nachts so beleuchtet, dass wir das bei unserem landseitigen Besuch im Winter fälschlich für Weihnachtsillumination gehalten hatten.

Aus dem Bootsfenster. Nachts darf es regnen.

Die schöne Innenstadt erscheint englisch, gar “viktorianisch” (konnte nicht widerstehen). Downtown steht unter Denkmalschutz. Schon früh wurden die Geschäftsgebäude in Stein errichtet, Wohnhäuser dagegen in Holz. Aber was heißt früh? Das älteste noch am ursprünglichen Errichtungsort stehende Gebäude der Region ist das Wohnhaus des deutschstämmigen Arztes John Sebastian Helmcken, dessen ältester Teil 1853 errichtet wurde. Helmcken erlangte Bekanntheit vor allem dadurch, dass er die Bedingungen für den Beitritt British Columbias zu Kanada sehr geschickt verhandelte und dabei auch den Bau einer transkontinentalen Eisenbahnlinie zur Voraussetzung machte.

Sein Wohnhaus ist heute Teil des “Royal British Columbia Museum”. Von dem sind wir allerdings etwas enttäuscht. Naturkunde mit überwiegendem Dinosaurier-Anteil, der “Human”-Teil derzeit geschlossen. In einem Schaufenster diverse Totems. Draußen ein Langhans und weitere Totems verschiedener First Nations, leider ohne sinnvolle Beschriftungen oder Erläuterungen. Schade. Da war das sehr gute Museum in Campbell River deutlich aufschlussreicher.

Sprachlos.

Was wir in Helmckens Haus nicht erzählt bekommen, aber später nachlesen: der Mediziner hat einen wesentlichen Anteil daran, dass die verheerende Pocken-Epidemie von 1862 die in Victoria heimische Songhee-Nation weit weniger heimsuchte als andere Nationen. Mehrere hundert Songhee ließen sich von Helmcken impfen.

Teil des touristischen Pflichtprogramms in Victoria ist “Fisherman’s Warf”. Ein paar Fischerboote liegen tatsächlich noch an den Stegen, aber deshalb kommt kaum jemand hierher. Anziehungskraft haben eher die vielen bunten Hausboote und die – wie Food Trucks, nur eben zu Wasser – schwimmenden Imbissbuden am Rand. Einige der Hausboote sind auf Airbnb verfügbar, die Bewohner werden von den vielen Wassertaxis aber ordentlich durchgeschüttelt.

Wir bleiben noch in Victoria, verlegen uns aber in einen Außenbezirk und ankern außerhalb des Bojenfeldes in der von Villen gesäumten Cadboro Bay vor dem Royal Victoria Yachtclub. Auch belebt, aber ganz anders. Die Mittwochsregatta des Clubs findet draußen vor der Bucht statt und die Ausbildungsabteilung ist ebenfalls ziemlich aktiv: Optis, 420er, 470er und einige andere segeln um uns Ankerlieger herum, ein Feld der 2.4-Klasse ist mit ihren Foliensegeln unterwegs.

Und wir haben einen Logenplatz.

Entscheidung und Treffen

Aus Nanaimo raus und einmal um die Ecke gibt’s mal wieder einen Erkenntnisgewinn. Dafür also das “Logging”, der Holzeinschlag, dessen Auswirkungen wir mit einigen kahl geschlagenen Hängen zuletzt häufiger gesehen haben. Die Fahrt führt vorbei an einer Zellstoff-Produktionsanlage, Unmengen an Holzstämmen werden angeliefert, zu Zellstoff verarbeitet und verschifft, nach Aussage der unternehmenseigenen Website hauptsächlich nach Asien. Gleich hinter der Fabrik wird es dann für die Navigation der Flora spanned, hier liegen die nächsten Narrows, deren Durchfahrt das richtige Timing erfordert.

Die Dodd Narrows trennen Vancouver Island von der kleinen Insel Mudge und der größeren Insel Gabriola. Die gehören bereits zu den Gulf Islands, einem beliebten Ziel für Segler und andere Wassersportler aus Vancouver und Victoria, quasi dem kanadischen Pendant zu den San Juan Islands vor Seattle, die beiden Inselgruppen gehen praktisch ineinander über.

Bis zu 9 kn kann die Strömung der Dodd Narrows erreichen, also am besten bei Stillwasser passieren. Das klappt diesmal nicht ganz, obwohl wir sogar etwas vor der Zeit da sind, gurgelt das Wasser bereits mit rund zwei Knoten in unsere Richtung. Das ist zwar kein Problem, aber die bereits deutlichen Wirbel zeigen uns, dass wir nicht allzu viel später hätten kommen dürfen.

Ein Stück hinter den Dodd Narrows setzen wir den Gennaker, aber es wird ein kurzes Vergnügen, der Wind schläft bald darauf wieder ein.

Unser Tagesziel diesmal ist Saltspring Island, die größte der Gulf Islands. Wir laufen deren Hauptort Ganges an, mit sehr gutem Grund: hier macht das jüngste unserer sechs Patenkinder gerade ein Highschool-Jahr. Jasper ist 15 und statt in Montabaur jetzt also für 10 Monate in Ganges. Wir freuen uns wie Bolle, dass es mit diesem Treffen klappt. Gemeinsam mit ihm holen uns seine Gasteltern am Hafen ab, zeigen uns ihr Haus und die Insel.

Nach zwei Tagen auf Saltspring Island verabschieden wir uns und fahren weiter nach Sydney auf Vancouver Island. Das gibt uns die Möglichkeit Eliza und Ben zu treffen, bevor Ben am nächsten Tag nach Panama zu ihrem Boot fliegt. Wir hatten die beiden Anfang des Jahres in der Shelter Bay Marina auf Panamas Atlantikseite kennengelernt, wo ihre Nauticat 37 jetzt “on the hard” lagert. Die beiden wohnen in Victoria und besuchen uns, es wird ein schöner Nachmittag, erst mit selbstgebackenem “Flora-Butterkuchen” und dann mit einem netten Abendessen in der Stadt und ganz viel Klönen.

Am nächsten Tag lösen wir eine Tageskarte und fahren mit dem Bus hinaus zu den anderen Marinas nördlich von Sydney. Wir klappern sie alle ab, aber die Aussage ist überall die gleiche wie auch schon bei zwei Häfen auf Saltspring Island und mehreren anderen Marinas, die wir nur angerufen haben: ein Winterplatz, egal ob im Wasser oder an Land ist nicht frei. Allenfalls ein Platz auf der Warteliste. Hm.

Am Abend dann ein Vortrag im Royal Victoria Yachtclub: Tony Gibb and Connie McCann berichten über zwei sehr verschiedene Langfahrten. Eine siebenjährige Pazifikumrundung über Japan und die Aleuten in ihrer selbst ausgebauten Vancouver 27 “Hejira” von 1983 bis 1990 ohne Kühlschrank, ohne eingebaute Toilette und vor allem ohne elektronische Navigationsgeräte. Und eine Weltumsegelung mit ihrer modern ausgestatteten und geräumigeren Wauquiez 38 “Sage” ab 2010. Gerade im direkten Nebeneinander der beiden Reisen sehr spannend, zumal von den beiden auch klasse bebildert und vorgetragen. Eingeladen hat uns Daragh, der Port Officer des OCC (Ocean Cruising Club, das britisch/internationale Pendant zu unserem deutschen Verein Trans Ocean). Ich hatte ihn angeschrieben wegen möglicher Winterplätze. Weil wir den Yachtclub nur schwer mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können organisiert uns Daragh auch noch den Transport dorthin und zurück: Clubkammerad Don holt uns aus Sydney ab und bringt uns nach dem Vortag und einer anschließenden privaten Stadtrundfahrt auch wieder zurück. Kanadische Gastfreundschaft.

Und was den Winterplatz der Flora angeht, treffen wir mit Blick auf das sich ab Freitag wohl deutlich (und vermutlich auch eher dauerhaft) in Richtung kälter und regnerischer verschlechternde Wetter eine Entscheidung: wir werden wieder ein Stück zurück nach Norden segeln. In Campbell River können wir Flora über den Winter parken, nach Bedarf auch auf ihr wohnen (letzteres leider nicht selbstverständlich bei den Winterplätzen hier). Es gibt dort sogar eine aktive Winter-Community, einige der Boote kennen wir, darunter die “Pitou”, mit der wir in Honolulu, Sitka und Juneau zusammen waren.

Mit dem in Deutschland eher unüblichen Überwintern des Bootes im Wasser haben wir in Griechenland gute Erfahrungen gemacht und der Pazifik ist hier in BC frostfrei, warum also nicht?