Tortuguero: Schildkröten, Basilisken, Affen und Krokodile

Wir schmeißen unsere ursprüngliche Absicht über den Haufen und bleiben doch nicht nur im Zentrum Costa Ricas. Küste und Strand sehen wir ja sonst auch – hatten wir gedacht.

Aber dann erfahren wir, dass gerade die grünen Meeresschildkröten zur Eiablage an den Strand von Tortuguera kommen, im Nordosten Costa Ricas an der karibischen Atlantikküste. O.k., da sollten wir dann wohl hin. Bloß, ganz so einfach gestaltet sich das bei näherem Hinsehen nicht. Es gibt keine Straße nach Tortuguera (kein Wunder dass der Ort autofrei ist). Ein kleiner Flugplatz für Propellermaschinen ist die eine Variante, die andere ist eine Fahrt in die Wildnis nach La Pavona. Dort gibt’s nix, außer einem bewachten Parkplatz und einer Anlandestelle für flachgehende Boote. Es gibt öffentliche „Bus“-Boote nach Tortuguero, aber wer bei einer der größeren Lodges bucht, wird mit einem privaten Boot abgeholt.

Liegen zunächst noch Kühe auf den Wiesen neben dem flachen braunen Gewässer, wird bald der Dschungel zu beiden Seiten dichter.

Witzig übrigens die „Jahreszeit“ hier im Nordosten Costa Ricas: während der September für das Land insgesamt einer der regenreichsten Monate ist, ist hier gerade typische Trockenzeit, was man auch am niedrigen Wasserstand des Flusses und den vielen zu Tage tretenden Sandbänken sieht. Dagegen wird es dann hier im Dezember viel regnen, wenn im übrigen Land die trockene Hauptsaison beginnt.

So watet der Nacktkehlreiher schon ein bisschen durch den Matsch.

Die martialische englische Bezeichnung „Tiger Heron“ scheint hier im Dschungel besser zu passen, denn der Vogel ernährt sich neben Fröschen und Krebsen auch gerne vom Nachwuchs der Kaimane und Krokodile. Und siehe da, der nächste Kaiman ist tatsächlich nicht weit:

So wird uns die gut eine Stunde dauernde Bootstaxifahrt nicht lang, es gibt immer wieder interessantes zu sehen. Etwa dieses Dreizehen-Faultier, dass sich direkt über dem Fluss ausruht und uns wie Queen Elizabeth zuzuwinken scheint:

Aber natürlich reicht uns das noch nicht an tierischen Begegnungen und so buchen wir gleich nach unserer Ankunft noch für dieselbe Nacht die Schildkröten-Tour am Atlantikstrand. Der gesamte Strand ist nämlich streng geschützt und darf zwischen sechs Uhr abends und sechs Uhr morgens nur im Rahmen von lizensierten Führungen betreten werden. Costa Rica hat sich diesbezüglich quasi vom Saulus zum Paulus gewandelt, vor gut 100 Jahren war das Land noch der weltweit größte Exporteur von Schildkröten, die Eier wurden (und werden illegal heute noch zum Teil) als Aphrodisiaka gehandelt. Der schwarze Strand von Tortuguero ist einer der wichtigen Eiablageplätze für die grüne Meeresschildkröte, die früher auch als Suppenschildkröte bezeichnet wurde. Jetzt in der Eiablagesaison kommen jede Nacht über 2.000 dieser wunderbaren Tiere hierher.

Wir bekommen den späteren der beiden Slots, ab 22.00 Uhr geht unsere Führung los. Maximal 10 Gäste pro Führer, wir sind nur 8, um so besser. Auch das ungeliebte spätere Zeitfenster erweist sich als Glücksfall, denn so steht der noch fast volle Mond höher am Himmel und gibt bei der dünnen Wolkendecke ein recht gutes Licht, wenn sich die Augen erst an die Dunkelheit gewöhnt haben. Taschenlampen sind absolut verboten, Fotos (auch ohne Blitz) leider ebenfalls. Wir haben das absolut wunderbare Erlebnis, eine etwa eineinhalb Meter große (Panzer ca. 1,20 m) und wohl etwa 150 kg schwere Grüne Meeresschildkröte ganz nah bei der Eiablage beobachten zu können. Erst als einer der Scouts des Conservation Teams das Zeichen gibt, dürfen wir mit dem Guide zu ihr. Sie hat die Eiablage begonnen und kann sie nun nicht mehr stoppen. Ganz in Ruhe legt sie Ei um Ei (etwa so groß wie ein Golfball) in die zuvor von ihr mühsam ausgescharrte tiefe Kuhle, was wir im Rotlicht der Lampe des Guides verfolgen. Auch den Beginn des Zuscharrens, dann wechseln wir den Standort. Eine weitere (etwas kleinere) Grüne Meeresschildkröte beobachten wir auf dem beschwerlichen Weg zurück über den Strand ins Meer. Dann noch eine dritte der Art, die ihr Gelege bereits zugescharrt hat und jetzt eine „Camouflage-Kuhle“ daneben anlegt um Nesträuber zu verwirren und das Gelege noch besser zu schützen.

Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis, hier so nah dabei sein zu dürfen.

Spät ins Bett, aber früh wieder raus. Die Lodge liegt auf der schmalen Landzunge, die eine mehrere Kilometer lange Lagune vom Atlantik abtrennt. Um halb sechs ist Treffen an der Lobby für die Morgentour mit dem Boot in die Lagune und ein paar Nebenarme im Nationalpark.

Gleich als erstes zeigt sich ein Krokodil, Schwimmen ist in der Lagune wohl nicht zu empfehlen.

Eine weitere Echse erscheint da schon possierlicher:

Andererseits: es ist ein Basilisk (Grüner Stirnlappenbasilisk). In der Mythologie und bei Harry Potter ist klar: sein Blick versteinert jeden, den er ungeschützt trifft 😬.

Außerdem bekommen wir nach den Kapuzineraffen bei der Maquenque Lodge jetzt erstmals auch die bisher nur gehörten Mantel-Brüllaffen zu sehen, zudem zusätzlich auch noch die quirligen Geoffroy-Klammeraffen.

Und natürlich auch wieder eine Menge Vögel, darunter mehrere Regenbogentukane, die direkt über uns hinwegfliegen, sowie die ebenso wunderschönen Grünen Aras.

Nature-Overload? Kein Stück, wir legen uns nach der Tour ein bisschen hin und machen am Nachmittag noch einmal eine ungeführte Wanderung auf dem „Jaguar-Trail“ im Nationalpark. Und wir haben wieder Glück.

Erst läuft uns ein anderer Basilisk über den Weg. Ein Streifen-Basillisk, (auch Jesus-Christus-Basilisk genannt, weil er bei Gefahr auf den Hinterbeinen übers Wasser laufen kann; also mal Versteinerer, mal Erlöser):

Und dann scheint ein Geoffroy-Klammeraffe uns zeigen zu wollen, was für ein perfekter Macho er ist und welche artistischen Fähigkeiten er hat:

Danke für die Privatvorführung.

Pura Vida.

Baumhaus im Dschungel

Von Chachagua aus fahren wir in die weite Ebene Richtung nicaraguanischer Grenze. Zunächst wird die Straße über weite Strecken von Feldern gesäumt. Hauptsächlich Zuckerrohr, Ananas und Bananen werden angebaut, aber wir sehen auch landwirtschaftliche Kulturen, die wir nicht auf Anhieb zuordnen können. Zunehmend mischen sich dann Weideflächen in das Bild, die Straße wird schmaler. Bei Pital geht sie dann unvermittelt in eine grobe Schotterpiste über, rund 17 km vor unserem Tagesziel. Hm, so ist es nun mal. Wir nehmen es als Einstimmung auf die etwas abseits gelegene Maquenque Eco Lodge, wo wir zwei Nächte verbringen wollen. Einiges ist hier ein bisschen anders:

Zunächst einmal endet die Anfahrt auf einem Parkplatz vor dem schlammig braunen Rio San Carlos. In einem „Kommunikationshäuschen“ hängt ein UKW-Gerät, mit dem wir die Lodge anfunken. „Kein Problem, das Wassertaxi holt Euch gleich ab, sobald der Regenschauer durch ist.“

Und so geschieht es. Danach einchecken, ein Willkommensdrink, und dann geht’s zu unserem Baumhaus. Mitten im Dschungel, wir können von dort keines der anderen Baumhäuser ausmachen, sehen nur auf dem Trampelpfad dorthin die Wegweiser an Abzweigungen.

Dann sind wir da und stehen vor einer Treppe, die bestimmt gut 10 m hoch zum Baumhaus „Perezoso“ führt. Übersetzt: Faultier 🦥. 😂

Oben angekommen erkennen wir, dass die großflächigen „Fenster“ gar kein Glas haben, sondern lediglich Mückennetze die Öffnungen überspannen. Das war uns bei der Buchung gar nicht aufgefallen, verspricht aber jedenfalls ein (hoffentlich nur akustisch 😳) noch unmittelbareres Dschungelnaturerlebnis.

Sieht aber absolut klasse aus, einschließlich Terrasse und Außendusche in schwindelerregender Höhe. Übrigens zieht während unseres Aufenthalts unvermittelt eine eine komplette Sippe von Weißschulterkapuzinern auf Augenhöhe durch die Nachbarbäume vorbei; die Affen scheinen über uns mindestens eben so erstaunt zu sein wie wir über sie:

Brüllaffen dagegen hören wir zum Glück nur in weiter Ferne, in direkter Nachbarschaft hätte sie uns vermutlich eine schlaflose Nacht beschert. So aber ist das nächtliche Dschungelgeräusch zwar fremdartig, aber der Klangteppich aus Zirpen, Pfeifen, Quaken, Zwitschern und, und, und … klingt auch wahnsinnig faszinierend und bringt uns nicht um den Schlaf.

Das ist auch gut so, denn für den nächsten Morgen haben wir eine schon um 6.00 Uhr früh beginnende vogelkundliche Wanderung gebucht. Guide José „Chino“ ist wieder einmal ein Glücksgriff. 36 Arten kann er uns auf dieser Tour zeigen. Eine kleine Auswahl unserer Sichtungen:

Montezumastirnvogel
Gelbstirn-Blatthühnchen
Goldkehltukan
Königsspecht
Fischertukan, auch Regenbogentukan genannt
Nochmal der Fischertukan. Photocredit: unser Guide José „Chino“ (Instagram: WildChinoCR)
Grauwangenpapagei, die englische Bezeichnung Brown Hooded Parrot trifft es irgendwie besser
Strumpfband-Trogon / Violáceo-Trogon, aus der Familie, zu der auch der Quetzal gehört
Tovisittich
Rotbrustfischer, mit bis zu 40 cm der größte Eisvogel Amerikas.

Die Fähigkeiten von Augen und Ohren unseres Guides Chino sind wirklich beeindruckend, unfassbar, wie er die Vögel entdeckt und sie uns dann zeigt.

Ganz nebenbei streift vor uns auf dem weitläufigen und in den meisten Bereichen sehr naturbelassenen Gelände der Lodge auch noch ein Nasenbär über den Weg.

Übrigens lassen sich auch direkt von dem offenen Hotelrestaurant aus Vögel beobachten, einige aufgehängte Bananen dienen als offenbar attraktive Futterstelle. So können wir uns beim Frühstück nach der Wanderung gleich weiter von den Exoten faszinieren lassen:

Fun Fact: zum Nationalvogel hat sich Costa Rica diese Schlichtdrossel gewählt:

Das illustriert ziemlich deutlich, dass die Ticos nicht eben auf Effekthascherei aus sind. Haben sie auch gar nicht nötig. Die gigantische Artenvielfalt in Costa Rica zeigt sich aber nicht nur bei den Vögeln.

Die Lodge bietet um 14.00 eine kostenlose Dschungelführung an. Wieder ist Chino der Guide und wieder sind wir die einzigen Teilnehmer, es gibt jetzt in der Regenzeit und auch wegen der COVID-Auswirkungen nur sehr wenige Gäste hier.

Diesmal erfahren wir viel über die Pflanzen und die Insekten, sehen auch einige Amphibien. Besonders faszinierend ist, dass sich (wie beim Tauchen) bei genauem Hinsehen auf die kleinen versteckten Details eine völlig neue Welt von Crittern zu öffnen scheint. Etwa bei dieser Troll-Hair-Nymphe …

Photo Credit: José „Chino“

oder bei dieser zikadenverwandten Fulgoridae:

Und auch den Goldbaumsteiger-Frosch (Green Poison Frog)

Photo Credit: José „Chino“

und den klitzekleinen aber ziemlich lauten Bluejeans-Frosch (Erdbeer-Pfeilgift-Frosch) bekommen wir noch einmal bei Tageslicht in freier Wildbahn zu sehen:

Es ist nur schwer in Worte zu fassen, wie begeistert wir von unserem Aufenthalt hier sind. „Kneif mich mal, bitte.“ 😁

Pura Vida.