Ausgangssperre Tag 3

Es ist ruhig. Sehr ruhig. Angenehm ruhig (traue ich mich kaum zu schreiben, weil der Grund so schlimm und die Dauer so ungewiss und damit auch beunruhigend ist). Trotzdem: praktisch kein Bootsverkehr mehr, keine Flugzeuge über uns, kaum Dinghys, keine Jetskis, keine überfüllten Touristenkatamarane, die mit Vollgas durchs Ankerfeld zum Strand rauschen, kaum Autos auf den Straßen am Ufer.

Auch keine Besuche von oder bei anderen Booten. Wir sind auf uns selbst zurückgeworfen. Entschleunigung. Werden wir das ertragen oder können wir das sogar genießen? Wäre einfach, wenn es wirklich nur die bisher angesetzte Woche wäre, aber davon gehen wir nicht aus. Gleichwohl: ändern können wir es eh nicht, also lassen wir uns darauf ein. Wir haben Zeit (und wieder beunruhigt im Hinterkopf ein fernes „aber nur bis zum Beginn der Hurrikansaison“).

Ganz überwiegend schaffen wir es ganz gut, uns auf das Genießen einzulassen. Es gibt keinen Druck, kein „dass muss ich eben noch schnell erledigen, weil dann ja gleich …“. Selbst unsere Bootsprojekte gehen wir sutje (*1) an. Das Dinghy haben wir gesäubert und endlich (neben Logo und Florecita) auch mit dem offiziellen T/T SY Flora (*2) beschriftet, die verbogene Halterung für die umklappbaren Beibooträder gerichtet.

Ansonsten Brot gebacken, erstmals selbst an Bord Joghurt gemacht und …

… gepuzzelt. Ja, tatsächlich. Eike hatte uns bei seinem Besuch in Spanien ein 1.000-Teile-Puzzle mitgebracht. Innerlich hab ich den Kopf geschüttelt, obwohl er wohlweislich den sperrigen Karton zu Hause gelassen hatte. Wann und wo soll man auf einem schaukelnden Schiff ein 1.000-Teile-Puzzle machen? Landratte! Pah. Ich leiste Abbitte. Jetzt wissen wir, wann und wo. Der Salontisch ist belegt, begeistert puzzeln Wiebke und ich gemeinsam vor uns hin. Hatte fast vergessen, wie herrlich es als Kind war. Tausend Erfolserlebnisse und dazwischen …

Danke Eike!

Ein paar Details zur Ausgangssperre haben sich inzwischen geklärt. Wichtig für uns: wir dürfen schwimmen und sogar das SUP (*3) benutzen, nur eben nicht an den Strand fahren. Unser aufblasbares SUP sorgt für ein bisschen zusätzliche Bewegung neben dem Schwimmen und Schnorcheln am Boot, strengt beim Paddeln erstaunlich viele Muskeln an und erst recht beim Yoga, dass aber nur Wiebke auf dem schwankenden Ding mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad jetzt während der Ausgangssperre bisher täglich praktiziert.

Die Segler hier begegnen der Vereinzelung außerdem mit einigen Funkrunden auf UKW (*4), morgens um 9.00 gibts dort Wetterbericht, aktuelle Meldungen zum Covid-Stand auf Antigua und allem, was Segler hier betrifft, der eigentlich stets damit verbundene Flohmarkt ist allerdings derzeit mangels Kontaktmöglichkeiten einigermaßen mau. Zu um 9.30 haben wir dann (seit dem Lockdown) eine deutsche Funkrunde in Leben gerufen. Sie war heute morgen mit mindestens acht Booten ebenfalls gut besucht, zum Quatschen und wiederum Informationsaustausch. Nachmittags um 17.30 hat dann Merrill seine Show, er hat uns zum (funklichen) Sundowner geladen. Von ihm launig und humorvoll moderiert, berichten alle Teilnehmer (heute sicher 15+) über den von ihnen gerade verzehrten Sundowner und ihr heutiges Bootsprojekt (das kann z.B. die Suche nach dem fiesen Elektrowurm in der Bordelektronik oder auch nach dem besten Platz für die Hängematte sein). Anschließend hält Merrill noch ein kurzweiliges Quizz bereit und schwupp hat man das Gefühl, die isolierten Segler seien eben doch in einer Gemeinschaft vereint.

Und danach? Gibt noch einen weiteren Sundowner:

(*1) norddeutsch, etwa: langsam, bedächtig, ruhig

(*2) T/T steht für Tender to, also insgesamt international übliche Kennzeichnung für: Beiboot der Segelyacht Flora

(*3) SUP = Stand Up Paddelboard

(*4) UKW = Ultrakurzwelle, der Frequenzbereich in dem das Bordfunkgerät (selbst als Handfunke) sendet und empfängt.

Nabucco in Antigua

Seit heute um 20.00 Uhr gilt hier in Antigua der “24-Hour-curfew”, also die Rund-um-die Uhr-Ausgangssperre, zunächst mal für eine Woche. Vor dem Supermarkt hat das zu extrem langen Schlangen geführt, zumal ja auch nur eine begrenzte Anzahl an Kunden hineingelassen wurde. Mehrere Segelfreunde von uns haben jeweils vier Stunden (!) angestanden, um in den Supermarkt zu kommen. Wobei: er wird auch ab morgen (wenn auch mit eingeschränkten Öffnungszeiten) weiter zur Verfügung stehen. Die Regale sind gut gefüllt, Nachschubcontainer sind reichlich unterwegs, der Premierminister mahnt an die Vernunft jetzt nicht panikartig einzukaufen. Andererseits hat der Tourismusminister dazu aufgefordert, in der nächsten Woche nur absolut notwendige unaufschiebbare Einkäufe zu tätigen und ansonsten zu Hause (auf dem Boot) zu bleiben. Da wollte heute dann doch der ein oder andere noch vorsorgen.

Wir nicht, wir haben vorgestern frisch eingekauft und haben sowieso einiges an Vorräten. Noch etwas Frischware aufstocken wäre o.k. gewesen, aber dafür vier Stunden anstehen? Nö. Dann lieber noch einen schönen langen Spaziergang vor der Ausgangssperre. Wegen der klaren Luft heute können wir vom Berg (na ja, oder Hügel) Pearns Point aus tatsächlich Guadeloupe, Montserrat, Redonda, Nevis und sogar St. Kitts erspähen, auf der anderen Seite wandert der Blick über den mangrovengesäumten Salzsee hinweg auf Jolly Harbor und die den Ort umgebenden grünen Hügel.

Mal sehen, wie wir mit der Ausgangssperre zurechtkommen, dass es bei einer Woche bleibt glauben wir allerdings eher nicht. An Segeln ist wohl erst einmal etwas länger nicht zu denken. Wir sind trotzdem guter Dinge, pendeln mental aber allerdings manchmal zwischen einem fast freudigen “wie eine Atlantiküberquerung, nur mit weniger Geschaukel und nachts ruhig durchschlafen” und dem weniger guten Gefühl, eben doch irgendwie angebunden zu sein. Meist überwiegt die durchaus positive Erwartung der neuen Erfahrung dieser (wenn auch nicht selbstgewählten) “Auszeit in der Auszeit”.

Was Künstler aus einer erzwungenen Vereinzelung machen können, hat bei uns für eine Gänsehaut gesorgt, weshalb ich hier ausnahmsweise mal ein YouTube Video verlinken möchte. Wer keine Aversion gegen klassische Musik hat sollte sich das außergewöhnliche Kunstwerk des International Opera Choir aus Rom ansehen. Jedes Chormitglied hat den eigenen Beitrag mittels Smartphone aufgenommen. Die Aufnahmedateien wurden dann in einer bewunderswerten Montagetechnik zusammengeschnitten und.. das ist das Ergebnis! Und noch ein Hinweis, weil wir unterwegs auf unser Download-Volumen achten und Videos deshalb SEHR selten anklicken: das hier lohnt sich , uns hat es jedenfalls tief berührt.

Es ist ohne Zweifel kein Zufall, das sie dafür ausgerechnet Verdis “Nabuccu” gewählt haben, noch dazu den berühmte Gefangenenchor. Schön, das diese Oper auch noch gut ausgeht 😀. Für diejenigen, die – wie ich – kein italienisch können, hier der Text der ersten Strophe:

Flieg, Gedanke, getragen von Sehnsucht,
lass dich nieder in jenen Gefilden,
wo in Freiheit wir glücklich einst lebten,
wo die Heimat uns’rer Seele ist.

Ja, das ist ziemlich pathetisch, aber eben doch auch wunderschön.

Ein letzter gemeinsamer Sundowner am leeren Strand, noch erlaubt, mit Mareike, Andrea, Ingo und uns. Ein bisschen werden wir das wohl doch vermissen.