El Niño 2023/2024

Wir haben ausklariert und sind losgefahren.

Raus aus der Bahía de La Paz, um die Ecke und Floras Bug nach Süden gerichtet. Geht wirklich gut los, wir fangen den bisher größten Fisch unserer Reise, eine 1,25 m lange Gelbschwanz-Bernsteinmakrele (Yellowtail-Amberjack). Passt nicht in unsere Filetier-Schale auf dem Achterschiff,

aber wir bekommen trotzdem rund 4 kg schönes Filet. Auf dem weiteren Weg dann wieder springende Rochen und auch einige Buckelwale .

Und dann Stop!

Geplant war der Halt in der Bahía de Los Muertos sowieso, aber eigentlich nur als letzte Übernachtung, letztes Ausruhen vor dem großen Schlag. Jetzt werden wir aber wohl doch noch etwas länger bleiben müssen, das Wetter lässt uns kaum eine andere Chance. Laut den neuesten Wetterberichten wird sich in den nächsten Tagen ein ausgeprägtes Schwachwindgebiet südlich der Baja California entwickeln. Dem können wir nicht mehr rechtzeitig entwischen, zumal sich an seiner Südgrenze ein fettes Gewitterband anschließt. Wo zuletzt noch schönster Segelwind aus Nordost herrschte, sorgt jetzt ein kräftiger Trog für wilde Verhältnisse genau auf der Route zwischen unserem Standort und den ohnehin gewitterträchtigen Kalmen nördlich des Äquators. So sieht das auf Windy aus:

Regen und Gewitter
Blau=Flaute

Durch eine kleinere Flaute könnten wir hindurch motoren, aber bei der aktuellen Prognose wären unsere 440 Liter Diesel bereits aufgebraucht, bevor wir den notorisch windarmen Kalmengürtel überhaupt erreicht hätten. Also lieber erstmal hier bleiben und abwarten, Wetterberichte wälzen. Auch an unserem Zielort in Französisch Polynesien spielt das Wetter nicht so recht mit. Die Marquesas kommen noch ganz gut davon, aber die Gambier und auch die Tuamotus bekommen einiges ab. Von den Gesellschaftsinseln rauscht ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen heran, in Papeete auf Tahiti bläst es gerade mit 8 Beaufort. Die Tiefs sorgen dann auch für reichlich Unruhe auf den sonst gegen den Südost-Passat geschützten Ankerplätzen Französisch Polynesiens.

Na klar, es ist Hochsommer auf der Südhalbkugel, aber das Wetter scheint extremer als sonst. Sind das Auswirkungen von „El Niño“? Und was ist El Niño überhaupt für ein Wetterphänomen?

El Niño bezeichnet das Auftreten ungewöhnlicher Temperaturen des Oberflächenwassers (besonders warm vor der peruanischen Küste, aber eben nicht nur dort) im Zusammenhang mit veränderten Meeresströmungen im Südpazifik. Vor allem in besonders intensiven El Niño Jahren kann dadurch das Wetter weltweit beeinflusst werden. Eine sehr gute Erklärung dazu gibt es hier bei NOAA Climate Gov.

Zum Jahreswechsel 2023/2024 (und bis jetzt andauernd) ist ein intensiver El Niño zu beobachten. Besonders gut lassen sich diese Temperaturanomalien hier erkennen (genannte Quelle):

Und unsere geplante Route von der Südspitze der Baja California in Mexiko nach Französisch Polynesien geht halt durch einen besonders ausgeprägten Teil dieser Anomalie mitten hindurch:

Im Extremfall führt El Niño dazu, dass die Passatwinde sich nicht nur abschwächen, sondern sogar (in manchen Regionen) umkehren können, also aus westlichen Richtungen wehen. Das ist allerdings bisher zumeist nur im westlichen Pazifik beobachtet worden. Trotzdem ist bei derartigen Temperaturveränderungen klar, dass in den roten Gebieten mehr Energie in der Luft ist, und damit eben auch das Risiko von Gewittern steigt. Ein Grund mehr, bei der Wettervorhersage für unsere Route besonders auf den CAPE-Wert (CAPE = Convective Available Potential Energy) zu achten und Gebiete mit vorhergesagten Gewittern nach Möglichkeit zu meiden.

Das wird nicht immer klappen, insbesondere in den Kalmen am Äquator. Aber hier oben in Mexiko, da können wir z.B. einfach unsere Abfahrt verschieben. Bleiben wir halt noch ein bisschen länger in der Bahía de Los Muertos.

Und es ist ja auch nicht immer alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Die „Bucht der toten Männer“, das hört ja ziemlich morbide an. Vielleicht sogar geschäftsschädigend, ein Hotel am Strand hat deshalb versucht, die Bucht in „Ensenada de Los Sueños“ (Bucht der Träume) umzubenennen, aber das hat sich nicht durchgesetzt. Der Ursprung des Namens hat eigentlich auch gar nichts mit Todesfällen zu tun. Vielmehr hat eine (inzwischen längst aufgegebene) Mine für den Abtransport der Erze Haltemöglichkeiten gebraucht. Deshalb wurden Moorings mit sogenannten „Totmann-Ankern“ befestigt und die gaben der Bucht ihren Namen. Eigentlich erstaunlich, dass die Namen dieser Anker im Spanischen, Deutschen und auch im Englischen jeweils ganz entsprechend ist.

Jedenfalls ist es schön hier:

Warten und die Planung ändern.

Seglers Pläne sind in den Sand geschrieben. Bei Niedrigwasser!

So auch diesmal. Eigentlich wollten wir von Kanada aus direkt nach San Francisco segeln. Aber ein dafür geeignetes Wetterfenster zeigt sich derzeit nicht. Im Gegenteil: ein Hurrikan vor der Baja California macht gerade auch den äußersten Südwesten der USA um San Diego unsicher.

Auf der Seite des amerikanischen Wetterdienstes NOAA sieht die voraussichtliche Zugbahn des Kategorie IV Hurrikans Hilary heute so aus:

Bei Windy präsentiert sich Hilary so:

Das ist (auch von San Francisco aus) noch weit weg und ja auch der Grund, warum wir vor Ende der Hurrikansaison nicht nach Mexiko segeln wollen.

Aber: Auch wenn Hilary’s Wind uns nicht erreicht, die von dem Hurrikan aufgeworfenen Wellen wandern weit über den Pazifik und sorgen gemeinsam mit der an der Küste herunterlaufenden nördlichen (derzeit sowieso schon hohen) Windsee dafür, das sich uns auf dem direkten Kurs wohl ein chaotisches und äußerst unangenehmes Wellenbild bieten würde.

Also planen wir neu: erst einmal um das Cape Flattery herum und auf einem küstennahen Kurs ein Stück nach Süden. Das Problem in diesem Küstenabschnitt ist allerdings, dass die möglichen Häfen und Ankerplätze in Washington und Oregon praktisch alle in Flussmündungen hinter einer Barre liegen. Bei hoher See und/oder auflandigem Wind ist das problematisch.

Auch hierfür bietet NOAA eine Hilfestellung und fasst auf einer im Internet abrufbaren Seite zusammen, welche dieser Barren derzeit befahrbar sind und welche Einschränkungen laut Coast Guard derzeit gelten.

Wir lassen zig mal unsere Abfahrtsplanung mit verschiedenen Varianten bei Predictwind durchlaufen, dem Planungstool, dass wir abonniert haben und bei Passagen gerne verwenden. Unterwegs lässt sich “Predictwind Offshore“ auch über IridiumGo abrufen, so haben wir das bisher immer gemacht. Jetzt mit Starlink können wir aber ganz bequem und schnell auch größere Datenmengen (und damit großräumige Passageplanungen mit präzisen Vorhersagerastern) laden. Klasse, nur am Wetter selbst ändert es natürlich nichts.

Wir entscheiden uns für Newport in Oregon (Yaquina Bay) als nächstes Ziel. Durch die dortigen langen Molen ist diese Barre selten von Schließungen betroffen. Etwa 36 Stunden sollten wir bis dort brauchen. Um im Hellen anzukommen klingelt der Wecker heute um 4:30, um 5:15 fahren wir los.

“Red sky in the morning, sailor’s warning.” Vielleicht ist es aber auch der Rauch der vielen Waldbrände in British Columbia, der für diese Morgenröte sorgt. Tatsächlich ruft die Regierung im Laufe des Tages den Notstand für BC aus.

Wie dem auch sei, wir drehen nach einer halben Stunde um, zurück in die Neah Bay. Keine leichte Entscheidung. Laut neuer Vorhersage hätten wir etwa drei Meter Welle, wenn wir dort ankommen. Von Achtern unterwegs durchaus machbar, wenn auch vielleicht nicht super angenehm. Aber an der Barre? Bei einer Weiterfahrt zum Ausweichhafen Crescent Bay (ohne Barre!) würden die Wellen auf 4 m zunehmen.

Gehe zurück auf Los!

Und was machen wir mit dem geschwenkten Tag?

Erstmal zurück ins Bett, ausschlafen. Und dann? An Land dürfen wir nicht, wir haben in den USA noch nicht einklariert, das geht in Neah Bay auch nicht (aber in Newport). Karen und Steve hatten uns bei unserem Road-trip in Denver ein Puzzle geschenkt, in Erinnerung an unseren Puzzle-Tausch beim Lockdown in Antigua in der Carlisle Bay. Jetzt ist die Gelegenheit dafür:

Wir beobachten am Ankerplatz eine im Norden Nordamerikas heimische, von uns aber bisher nicht gesehene Meerente, die Brillenente (Surf Scoter).

Riggen schon mal beide Spinnakerbäume mit Topnant, vorderem und achteten Niederholer und durch die Nock geführter Schot für die zu erwartenden achterlichen Winde der Passage. Ready to go.

Außerdem: neu planen, neu planen, neu planen 😉.