Bär, Bär, Bär

Paris hat den Eiffelturm, London die Tower-Bridge, Berlin das Brandenburger Tor. Alle diese Wahrzeichen stehen für die Stadt, die Region, vielleicht sogar das ganze Land. Und Alaska? Es ist eigentlich ziemlich konsequent, dass kein Bauwerk ikonisch für den nördlichsten Staat der USA steht. „The Last Frontier“ – so der offizielle Untertitel Alaskas – meint nicht so sehr die politische Grenze, sondern vor allem das Grenzgängertum zur Wildnis, zum Ungezähmten, manchmal auch Unberechenbaren. Urbane Kultur hat hier nur einen Außenposten in der archaischen Natur. Selbst das Auto, scheinbar unverzichtbarer Bestandteil amerikanischer Kultur, wechselt die Rolle vom glänzendenden Statussymbol zum vorwiegend technisch statt optisch gepflegten Arbeitsgerät.

Rostend, aber robust. Trotzig auf den wenigen, überwiegend nicht einmal verbundenen Straßen eingesetzt, die der Mensch in den Rand der hier dominanten Natur hineingenarbt hat.

Die Kraft der Natur: ein Bild hat sich wie kein anderes als Wahrzeichen für dieses Alaska eingeprägt: der im wilden Gebirgsbach nach Lachsen fischende Grizzlybär.

Nur: bisher haben wir lediglich einen einzigen Grizzly zu sehen bekommen, das war in Glacier Bay. Würden wir gern ändern. Donna und Bill empfehlen uns Windfall Harbor auf Admirality Island, dort sollte jetzt zur Zeit der Lachswanderung eine gute Chance bestehen, Grizzlybären zu entdecken. Ideal wäre es, wenn wir einen Platz im Pack Creek Nature Observatory im Norden von Windfall Harbor ergattern könnten. In diesem von Rangern kontrollierten Schutzgebiet können die großen Braunbären in ihrem natürlichen Jagdgebiet beobachtet werden. Dafür bedarf es allerdings einer vorherigen Terminreservierung im Internet, nur 24 Besucher täglich sind in der Saison zugelassen. Das scheitert für uns aber schlicht an fehlendem Mobilfunknetz und damit mangelndem Internetzugang.

Macht nichts, wir fahren trotzdem gemeinsam mit der Denali Rose den Seymour Canal weiter hinauf zum Windfall Harbor, und dass, obwohl wir an unserem alten Ankerplatz in der Pleasant Bay erstmals Erfolg mit unserem Krebskorb hatten und ein leckeres Festmal auf der Flora mit frisch gebackenen Brioche-Brötchen, selbst gemachtem Krautsalat und eben (im Regen im Cockpit) gekochter Dungeness-Crab genießen durften. Eine Wiederholung könnte in Windfall Harbor schwierig werden, denn bei der Einfahrt in die weite naturbelassene Bucht ohne menschliche Bebauung sehen wir am Ufer unter den Bäumen eine große Zahl von Profi-Krebskörben aufgestapelt. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Berufsfischer diese Bucht wohl ziemlich intensiv beackert haben und unser unverdrossen ausgebrachter Krebskorb hier wohl keine ausreichen großen Krebse („Keepers“) fangen wird.

Neben der Hoffnung auf Bären-Sichtung spricht auch die Wetterlage für den Wechsel nach Windfall Harbor. Die Vorhersage kündigt für die nächsten Tage kräftigen Wind bis 35 kn aus Südost an, da ist dieser Naturhafen besser geschützt.

Tatsächlich bleibt das Wasser in unserer Bucht erst einmal so ruhig, dass Wiebke und ich eine ausgedehnte Erkundungsfahrt mit dem Dinghy machen. Dabei entdecke ich einen Grizzly, der sich allerdings in den Wald verzieht bevor Wiebke das Fernglas auf ihn richten kann. Wir funken über UKW die Ranger an und erklären unsere Situation, aber für diese Woche sind sie ausgebucht. Wir kommen immerhin als zweites Boot auf die Warteliste.

Nach einem ruhigen Vormittag (an dem ich erfolglos versuche, Lachs zum Anbeißen am Angelköder zu überreden und dabei ebenso erfolglos das Ufer nach Bären absuche) meldet sich Mittags der Ranger auf der Funke und ruft das andere Boot auf der Warteliste. Es gab eine Absage, sie könnten kommen. Scheint aber ein Missverständnis zu sein, sie benötigen den Slot gar nicht mehr. Unsere Chance! Wir springen in die Lücke, sagen zu und brausen gleich im Dinghy dreieinhalb Meilen die Bucht hinauf zu der Beobachtungsstation. Auf dem Weg entdecken wir Grizzlybären in einem Bachbett, aber das wird ja hoffentlich nur ein Vorgeschmack sein, oder? Nach dem Anlanden wird Florecita an Leinen wieder hinaus gezogen. Auf einem Stein sitzend erklärt uns die Mitarbeiterin der Station die Regeln und den Weg. Es gibt keinerlei Hütte oder Ähnliches, nur ein aus auf dem Boden liegenden Baumstämmen als Sitzen gebildetes Viereck nahe des Flusses, in dem ein anderer Ranger uns Fragen beantwortet und ein Beobachtungsfernrohr aufgebaut ist. Als sich nach einer guten Stunde aber immer noch keine Bären blicken lassen, schickt er uns zwischenzeitlich (bis die Tide kippt und die Bären – hoffentlich – wiederkommen) zu einem Beobachtungsturm ein gutes Stück (etwa 2 1/2 Kilometer) weiter den Pack Creek hinauf. Der Pfad dorthin führt zunächst am Strand entlang zurück und dann durch den Urwald am Berg. Wir bekommen noch den Tip, an unübersichtlichen Stellen zu singen oder laut: „Hello bear, I‘m coming around the corner“ oder Ähnliches zu sagen. Unser mitgeführtes Bärenspray sei normalerweise nicht nötig, die Bären hier würden Menschen üblicherweise nicht als Bedrohung empfinden und ihnen einfach aus dem Weg gehen. Nur Überraschungen könnten sie halt nicht gut leiden.

Also tapsen wir durch den Wald und geben an jeder unübersichtlich Stelle ein lautes „Bär, Bär, Bär“ von uns. Klappt jedenfalls insoweit, als wir im Wald keinem Grizzly begegnen 😉

Der Aussichtsturm steht oberhalb einer Biegung des Pack Creek und wir sehen hunderte von Lachsen in dem flachen, steinigen Flussbett. Ein perfektes Jagdrevier für die Braunbären, nur: wir sind offenbar zwischen den Mahlzeiten angekommen. Kein Bär lässt sich blicken. Einige Raben und Möven bedienen sich an den Überbleibseln der letzten Jagd, denn jetzt in der Hauptwanderzeit der Lachse fressen die Bären nur die Delikatessen wie die Haut und die Innereien und lassen den Rest liegen. Oft nehmen auch Adler die angefressenen Lachse mit in die Bäume, auf dem dem Weg durch den Wald konnten wir das zwischendurch auch deutlich riechen.

Nachdem wir sehr ausgiebig die Lachse, Raben, Möven und Adler beobachtet und vergeblich auf Bären gewartet haben, wandern wir wieder zurück zum Beobachtungsplatz an der Mündung des Creeks. Dort angekommen heißt es erneut: Geduld. Sean, der anwesende Ranger, verkürzt uns die Zeit und gibt sein umfassendes Wissen über die heimische Tierwelt weiter, fragt uns umgekehrt zu unserer Reise und insbesondere zu den Erlebnissen auf Galápagos. Und dann trottet jenseits des Flusses der erste Bär aus dem Wald. Er watet durch einen Nebenarm, verschwindet wieder.

Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Ein weiterer Grizzly kommt aus dem Schatten der Bäume, geht zum Fischen in den Creek, dann taucht ein Dritter auf.

Mein Fotoapparat klickt im Stakato, als mich Sean antippt und zur anderen Seite zeigt. Direkt an unserem Baumstamm-Viereck kommt eine Bärin aus dem hohen Gras, gefolgt von zwei Jungtieren. Ohne uns zu beachten gehen sie vorbei und die Böschung hinunter zu einem Flussarm.

Das Muttertier watet hindurch, fängt wie nebenbei einen Lachs, wartet dann auf der anderen Flusseite auf die Halbwüchsigen. Die müssen das erste Stückchen schwimmen. Kaum haben sie wieder Boden unter den Tatzen, fangen sie an, sich mitten im Fluss zu balgen und miteinander zu ringen. Unfassbar, dass wir das so aus der Nähe beobachten dürfen.

Irgendwann lockt der von der Mutter gefangene Lachs doch zu sehr und die beiden bequemen sich hinüber zur Bärin. Für uns gut sichtbar, trotten die drei durch die niedrige Feuchtwiese Richtung Wald, fangen zwischendurch noch einmal Lachse, kuscheln und tollen dann noch länger im Gras herum.


Inzwischen haben sich auch im Flussbett mehrere Grizzlybären eingefunden. Die jetzt schnell fallende Tide macht es den Lachsen schwerer, den flacher werdenden Wasserlauf hinaufziehen, sie sind eine leichte Beute. Bis zu vier Grizzlys gleichzeitig sehen wir fischen.

Mit den drei immer noch in der Wiese tollenenden Bären haben wir gleich sieben dieser Kraftpakete im Blickfeld, wenden den Kopf mal hierhin, mal dorthin. Was für ein Erlebnis!

Und der tägliche Weißkopfseeadler? Der hält sich heute mal oben auf dem hohen Flussufer im Hintergrund und lässt andere für sich jagen.


Wie passend, denn auch wir werden zurück am Boot bewirtet. Donna und Bill wissen, dass wir zum Pack Creek keine Lebensmittel mitnehmen durften, wir sind zu leckeren Hamburgern auf die Denali Rose eingeladen. Zwischen den Bissen sprudeln wir unsere Begeisterung über das nachmittägliche Erlebnis heraus und die beiden, die uns ja überhaupt erst hierher gebracht haben, freuen sich sichtlich mit uns.

Dieser Beitrag ist mangels Mobiltelefonnetz wieder mal per IridiumGo übermittelt und daher NOCH ohne Fotos. Es gibt aber welche 😉

(Bilder nachgereicht)

4 Gedanken zu „Bär, Bär, Bär

  1. Wieder super geschrieben, sehr bildhaft. Ich habe die Grizzlys im geistigen Auge gesehen, toll.
    LG von der Vitila

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