Immer mal wieder werden wir gefragt, wie wir eigentlich unsere Reiseroute festlegen. Wonach entscheiden wir, welche Länder wir besuchen? Warum jetzt Samoa?

Ein Großteil dieser Entscheidungen entspringt im wahren Wortsinn der Bequemlichkeit. Wir wollen Starkwind möglichst vermeiden, erst recht natürlich Stürme. Wir möchten den Wind möglichst wenig auf die Nase haben, die großen Meeresströmungen lieber mit uns als gegen uns.
Daraus ergibt sich ganz grundsätzlich die „Barfußroute“, auf der die meisten Langfahrtsegler unterwegs sind. Sie führt in die Karibik und weiter nach Französisch Polynesien. Die Hurrikan im sommerlichen Nordatlantik bzw. die Zyklon-Saison im winterlichen Südpazifik beeinflussen dann jeweils die weiteren Routenentscheidungen. So haben wir die Karibik zweimal nach Norden in Richtung USA verlassen und konnten deshalb nach New York und hinauf nach Maine segeln sowie intensiv die großen Antillen und die Bahamas erkunden. Die Alternative wäre der Süden der Karibik mit Aruba, Bonaire und Curacao gewesen, die wir dadurch leider nicht gesehen haben.
Ganz persönliche Traumziele beeinflussen die Reiseroute natürlich auch stark. So waren nach Panama für uns die Galapagosinseln ein Muss, die für europäische Langfahrtsegler eher ungewöhnliche Weiterreise über Hawai‘i nach Alaska und British Columbia aber die Erfüllung eines persönlichen Traums (zugleich natürlich auch eine deutliche Abweichung von der Barfußroute). Die Westküste der USA mit San Francisco und die Westküste Mexikos mit der Sea of Cortez machten als weitere Traumziele diesen nordpazifischen Kringel für uns zu einem Highlight.
Und derzeit? Im Südpazifik ist gerade die Zyklonsaison zu Ende gegangen, viele Cruiser sind deshalb jetzt auf dem Weg nach Westen in Richtung Tonga und Fidji. Manche segeln von Französisch Polynesien oder den Cookinseln direkt zu diesen Zielen, die anderen wählen je nach Wetter und Vorlieben entweder eine südlichere Route über Niue mit seinen tollen Tauchplätzen oder eine nördliche über Samoa.
Für uns war klar, dass es wenn irgend möglich die nördliche Route sein soll. Vor über zwanzig Jahren, noch auf unserem ersten Boot, haben wir uns im Segelurlaub auf der Ostsee gegenseitig ein Buch vorgelesen. Wir waren ein paar Jahre zuvor nach Hamburg gezogen und „Das Haus an der Elbchaussee“ faszinierte uns. Über mehrere Generationen hinweg wird hier ab etwa 1800 geschichtlich fundiert die Familiensaga des Aufstiegs einer Kaufmanns- und Reederfamilie erzählt. Zugleich wird Hamburger Politikgeschichte und Hamburger Stadtentwicklung greifbar, die heutige Villenstraße der Elbchaussee etwa war damals noch nicht gepflastert und lag wie der Nobelstadtteil Blankenese im Ausland, auf dänischem Boden. In den 1850er und 1860er Jahren bewegt sich ein Fokus der Reederfamilie auf das Koprageschäft in der Südsee und ganz speziell auf Samoa. Das Geschäft und auch das kaufmännische Gebaren wird im Buch ausführlich beschrieben, auch das erste Einsetzen eines vom Hamburger Senat bestätigten Konsuls auf Samoa.
Ganz unabhängig von dem Buch, deutsche Kaufleute waren es auch, die ab den 1870er Jahren die Politik drängten, ihre Interessen in der Südsee zu schützen, am besten eine Deutsche Kolonie dort zu etablieren. Bismarck widerstand zunächst diesem Bestreben. Und doch: die Kanonenboot-Diplomatie der Einflussmächte Deutschland, Großbritannien und USA hat hier ihren Ursprung und sogar Samoa als Schauplatz: interessanterweise suchten im März 1889 die Kriegsschiffe dieser „Three Powers“ in der Bucht von Apia Schutz, wurden aber von einem Zyklon ebenso versenkt wie die sechs dort ankernden zivilen Handelsschiffe. Einzig das stark motorisierte englische Kriegsschiff konnte rechtzeitig auslaufen und entkam schwer beschädigt nach Australien.


Fotografiert im Robert Louis Stevenson Museum, Apia
Man einigte sich darauf, Samoa zu einem unabhängigen Königreich unter dem Protektorat der Three Powers zu machen (zuvor gab es keine Könige auf Samoa). Neun Jahre später kam es nach dem Tod des ersten und einzigen Königs zu Nachfolgestreitigkeiten und Konfrontationen zwischen den Three Powers, die unterschiedliche Nachfolger unterstützten. Der Konflikt wurde im Samoa-Vertrag von 1899 beigelegt. Deutschland erhielt den westlichen Teil Samoas (heute Samoa 🇼🇸), Amerika den östlichen (heute American Samoa 🇦🇸), das Vereinigte Königreich setzte dafür seine Interessen bei anderen Pazifikinseln durch. Deutschland kam so zu seiner (letzten) Kolonie. Die allerdings wurde anders als die übrigen deutschen Kolonien aufgesetzt. Gouverneur der deutschen Kolonie Samoa wurde der Diplomat und Indologe Wilhelm Solf. Er setzte seine Vorstellungen von einem humanen Kolonialismus um. So verzichtete er auf die Einführung der in den übrigen Kolonien gängigen Arbeitspflicht für die einheimische Bevölkerung und band die Samoaner intensiv in die Verwaltung und auch die Polizei ein. Als erste Amtshandlung ließ er überraschend den zuvor ins Exil verbannten Mata‘afa Iosefo zurückkehren, der eine breite Bevölkerungsmehrheit hinter sich hatte. Damit unterband er sehr effektiv die zwischen den verschiedenen samoanischen Clans geführten Scharmützel. Solf ernannte ihn zum Oberhäuptling und gab ihm das Faipule, eine Honoratiorenversammlung aus den Oberhäuptern der angesehensten samoanischen Familien zur Seite. Sachfragen wurden sowohl im Gouvernement als auch im Failpule verhandelt, Gesetze ließ sich Solf von Mata‘afa Iosefo mitunterzeichnen.
Im Dezember 1911 wechselte Solf nach Berlin an die Spitze des Reichskolonialamtes. 1912 verstarb Mata’afa Iosefo.

Solfs Nachfolger führte Solfs Politik nur bedingt fort, erließ zum Beispiel ein umstrittenes Mischehenverbot. Aber faktisch bestand die Kolonie Samoa ohnehin nur bis 1914. Zu Beginn des ersten Weltkriegs besetzte Neuseeland Samoa, nach dem Krieg erhielt Neuseeland dazu auch das Mandat des Völkerbundes. 1962 wurde Samoa als erstes Land Polynesiens unabhängig.
Insgesamt hat Solf mit seiner Politik dafür gesorgt, dass die kurze deutsche Kolonialzeit in Samoa als besser empfunden wurde als die neuseeländische. Trotzdem bleibt es Kolonialzeit, die auch damals schon existierende samoanische Unabhängigkeitsbewegung wurde – unblutig und mit Unterstützung der Mehrheit der Samoaner – unterdrückt.
Architektonische Zeugnisse aus der deutschen Kolonialzeit gibt es kaum. Trotzdem ist die kurze deutsch-samoanische Vergangenheit präsent. Als wir unsere Wäsche abgeben, erfahren wir beim Smalltalk, dass die Inhaberin zu einem Achtel deutsche Wurzeln hat. Auf dem lokalen Friedhof stoßen wir auf viele deutsche Namen:









Und nicht zuletzt, auch Handelsbeziehungen bestehen offenbar noch. Zwar nicht mit direkten Frachtern zwischen Hamburg und Apia oder einem vom Hamburger Senat in Apia eingesetzten Konsul. Gleichwohl können wir sie direkt an unserem Liegeplatz sehen, die Marina grenzt unmittelbar an das Fähr- und Containerterminal. Ein „Hamburg Süd“ – Container fällt uns natürlich gleich auf.


Unerwartete Verknüpfungen zur deutsch-samoanischen Geschichte finden wir, als wir das Robert Louis Stevenson Museum in Apia besuchen.

Der berühmte schottische Schriftsteller (u.a.: Die Schatzinsel, Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde) hat das Grundstück 1889 erworben und das Haus errichten lassen, in dem er dann 1894 mit erst 44 Jahren starb.



Die Samoaner gaben Stevenson den Namen „Tusitala“ (Geschichtenerzähler). 1892 veröffentlichte der sich keineswegs auf Romane beschränkende Tusitala, frustriert von der zerfahrenen politischen Situation in seiner Wahlheimat, „A Footnote to History, Eight Years of Trouble in Samoa.“ Er ergriff Partei für Mata‘afa und – nachdem dieser ins Exil geschickt wurde – unterstützte er Mata‘afa und dessen Gefolgsleute auch finanziell.
Eine kleine Fußnote der Geschichte vom Geschichtenerzähler: das Haus des Schotten Stevenson, die Villa Vailima, wurde nach seinem Tod von einem deutschen Kaufmann erworben, allerdings bei einem Zyklon zerstört. Zwei Amerikaner bauten es später originalgetreu (sogar mit Tapete aus samoanischem Tapa (Rindenbast) wieder auf und übergaben es dann unmittelbar als Museum an Samoa.