Tag 23 der Passage von Mexiko nach Französisch Polynesien

Französisch Polynesien. Warum eigentlich Gambier?

Französisch Polynesien. Sinnbild der SÜDSEE. Traumziel für Segler. Spätestens seit den eng mit der Südsee verbundenen Abenteuern der französischen Segelikone Bernard Moitessier. 1965 brach er hier die geplante Weltumsegelung ab, segelte um Kap Horn herum direkt nach Frankreich zurück und schrieb darüber den Segelbestseller „Kap Horn – der logische Weg“. Noch mehr zum Sehnsuchtsort machte er Französisch Polynesien, als er 1968/69 (nach Seetagen am Kap Horn und mit dem schnelleren Schiff als der spätere Gewinner Robin Knox-Johnston) in aussichtsreicher Position liegend das Golden Globe Race abbrach, nachdem er schon fast rund um den Globus gesegelt war. Nach Rundung von Kap Horn richte er den Bug nicht etwa nach Norden zum Ziel, sondern weiter nach Osten, wiederum südlich an Afrika (Kap der Guten Hoffnung) und Australien (Kap Leeuwin) vorbei. Durch eineinhalbfache Weltumsegelung in die Südsee nach Tahiti. „Vielleicht auch, um meine Seele zu retten.“ Er verarbeitete es in seinem Bestseller „Der verschenkte Sieg“.

Beide Moitessier-Bücher hatte Wiebkes Vater in seiner Bibliothek, Wiebke hat sie schon mit 16 verschlungen, ich dann erst einige Jahre später. Mit Sicherheit haben sie einen Keim für unsere eigene Reise gesetzt.

Und natürlich wurde der Mythos der Südsee auch von anderen Seglern und Künstlern befeuert. Robert Louis Stevenson und Jack London als Segler und Schriftsteller, als Maler natürlich allen voran Paul Gaugin.

Aber natürlich ist die Südsee mehr als Französisch Polynesien und Französisch Polynesien viel mehr als nur die wohl bekanntesten Inseln Tahiti und Bora Bora. Ja was denn eigentlich?

Zunächst mal: Französisch Polynesien (kurz FP) ist französisches Überseegebiet. Innenpolitisch in weitem Umfang selbstverwaltet, aber mit von Frankreich bestimmter Außen- und Sicherheitspolitik sowie französischem Justizsystem und Erziehungswesen.

Dieser Status hat für EU-Europäer viele Vorteile, denn obwohl FP weder zur EU noch zum Schengen-Raum zählt, gelten für uns viele Regeln analog, wir dürfen z.B. anders als etwa die US-Amerikaner ohne aufwändiges „Long Stay Visa“ bis zu 18 Monate bleiben. Das ist Klasse, denn das mitten zwischen Südamerika und Australien gelegene FP ist riesengroß und ziemlich vielfältig. Zur groben Orientierung: wir sind ja Europa-zentrierte Karten und einen ebensolchen Blick auf den Globus gewohnt. Aber jetzt ist der Blick auf (aus dieser Perspektive) die Rückseite des Globus gefragt. Da sieht man zunächst fast nur Wasser. Und mittendrin:

FP wird durch fünf Inselgruppen mit 118 größeren Inseln und Atollen und unzähligen kleinen Inselchen (Motu) gebildet.

Ein Größenvergleich, um etwas deutlicher zu machen, auf wie großer Fläche sich die Inseln verteilen: so sieht es aus, wenn FP flächengleich auf Europa liegt: von Dublin bis Rom, nach Rumänien hinein und bis nördlich von Stockholm würde sich die Ausdehnung erstrecken.

(Erstellt mit http://www.thetruesize.com)

Die bekanntestesten und touristisch erschlossensten Inseln Tahiti (wo über 70 % der Bevölkerung lebt) und Bora Bora gehören zur nordwestlichen Inselgruppe der Gesellschaftsinseln. Wegen ihrer Lage laufen von Osten kommende Langfahrtsegler diese Inselgruppe meist als letzte in FP an. Weniger bekannt und (wenn man nicht mit dem eigenen Boot anreist) auch schwieriger zu erreichen sind die vier anderen Inselgruppen von FP:

Die Marquesas liegen rund 1.400 km nordöstlich von Tahiti, relativ nahe am Äquator. Auf der Blauwasserroute wird diese Gruppe meist als Erste in FP angelaufen, weil sie von Panama, den Galapagosinseln oder auch Mexiko aus am einfachsten zu erreichen ist. Inseln im Marquesas-Archipel sind zum Beispiel das durch Paul Gaugin bekannt gemachte Hiva Oa oder auch Nuku Hiva. Wie fast alle Inseln in FP sind die Marquesas vulkanischen Usprungs. Hier ragen tatsächlich noch die Vulkanberge direkt aus dem Ozean. Anders als auf den Gesellschaftsinseln sind die steilen grün bewachsenen Berge noch nicht wieder abgesunken und somit auch nicht durch an den Rändern durch beim langsamen Absinken wachsende Korallenriffe geschützt. Die spektakuläre Landschaft mit den oft in Wolken gehüllten hohen Bergspitzen wird der Segler daher häufig von eher schaukeligen Ankerplätzen aus betrachten, das Anlanden mit dem Dinghy ist wegen des Schwells oft eine knifflige Sache. Dafür bieten sich aber tolle Wanderungen an den fruchtbaren Hängen, wo die Einwohner auch im Überfluss Obst und Gemüse anbauen.

Zwischen Gesellschaftsinseln und Marquesas liegen die Tuamotus. Obwohl ebenfalls vulkanischen Ursprungs, präsentiert sich diese Inselgruppe völlig anders. Keine Berge, die Vulkane selbst sind im Laufe der Erdgeschichte schon längst wieder versunken. Statt dessen: Atolle. Die am Rand der langsam versinkenden Vulkankegel emporwachsenden Korallen haben um den ehemaligen Vulkan jeweils einen Kranz von einem Riff gelegt. Die höchste Erhebung misst oft nur wenige Meter über dem Meeresspiegel. 76 dieser Atolle bilden das Tuamotu-Archipel. Manche haben einen befahrbaren Pass, manche gleich mehrere, manche gar keinen. Durch den Pass zwängen sich auch die Wassermassen, es gibt also häufig in dieser Enge eine starke Strömung. Kommt man aber dort hindurch mit dem Segelboot in die flache Lagune, warten dort (je nach Wind) ruhige Ankerplätze im Inneren des Ringriffs. Palmenbestandene Sandinselchen machen hier das Idyll aus.

Die Austral-Inseln, manchmal auch Tubai-Inseln genannt, bilden das vierte Archipel in FP. Diese südlichste Inselgruppe wird von Seglern selten angelaufen, schlicht und ergreifend weil sie eben fernab der typischen Route liegt. Sie liegt über einem immer noch aktiven Hotspot und bietet 6 Eilande, darunter sowohl ungeschützte Vulkaninseln als auch Atolle, je nach Alter des Vulkans.

Tja, und dann bleiben noch die Gambier. Im Südosten von FP gelegen, aber nicht ganz soweit südlich wie etwa Rapa in den Austral-Inseln. 1.800 km ostsüdöstlich von Tahiti, etwa 1.600 km südsüdöstlich der Marquesas. Ein bisschen abseits der typischen Blauwasser-Route, aber mit etwas Aufwand eben doch noch ganz gut erreichbar. Jedenfalls dann, wenn man diese Inselgruppe als Einstieg wählt. Bedingt durch die in FP vorherrschenden Südost-Passatwinde wird es nämlich deutlich schwieriger, wenn man die Gambier von einer der anderen Inselgruppen aus anlaufen möchte. Und was macht die Gambier aus? 26 Inseln umfasst diese diamantförmige Inselgruppe. Zum Teil liegen sie als flache Erhebungen auf dem schützenden Riff, zum Teil liegen sie innerhalb der Lagune und ragen als Teile des ehemaligen Kraterrandes bis 440 m hoch hinauf in die Höhe. Das verspricht die verlockende Kombination aus geschützten Ankerplätzen, Riffen zum Schnorcheln und Bergen zum Wandern. Zudem soll hier die Heimat der schönsten dunklen Südseeperlen sein und – weil seltener besucht – gelten die Bewohner als besonders freundlich und aufgeschlossen.

Schön ist natürlich auch, das von hier aus der Besuch der Tuamotus, der Marquesas und am Ende auch der Gesellschaftsinseln seglerisch ganz gut machbar sein sollte.

Und deshalb haben wir uns trotz der etwas weiteren Anreise mit einem gegenüber den Marquesas etwas höher am Wind gelegenen Kurs (von Mexiko) für die Gambier-Inseln als unser erstes Ziel in FP entschieden.

So sieht Google Earth die Gambier:

Und jetzt sind wir gespannt. 🤩

Noch eine Nacht, morgen früh sollten wir ankommen. Wir haben durch ein Reff die Fahrt etwas verlangsamt, damit wir nicht bei Dunkelheit am Pass ankommen.

Etmal: 107 sm, gesamt bisher auf dieser Passage 2.962 sm, es verbleiben noch 83 sm bis zur Ansteuerung des Westpasses durch das Riff der Gambier, dann weiter zwischen Taravai und Mangareva hindurch bis zum Ankerplatz vor dem Hauptort Rikitea auf Mangareva.

Essen: Gebratener Rainbow-Runner mit Kartoffeln und Salat (ja, der Eisberg-Salat ist immer noch gut!).

Tag 22 der Passage von Mexiko nach Französisch Polynesien

Ein Kessel Buntes.

Wind- und wettermäßig bekommen wir heute einiges geboten. Schwachwindsegeln, kurze Motorpassagen, kräftige Böen, aber auch zeitweise herrliches Segeln, alles ist dabei. Außer – dreimal auf Holz geklopft – Gewitter. Wir scheinen es ganz gut abgepasst zu haben.

An die Screenshots von http://www.windy.com habt Ihr Euch ja inzwischen gewöhnt. Hier der von gestern Nachmittag in der Einstellung Gewitter:

Und so sieht’s im Satellitenbild aus:

Und von Bord aus:

Das Schöne daran: die Vorhersage der Meteorologen tritt ein, das Band löst sich bei unserer Annäherung ganz langsam vor uns auf, die Reste ziehen ab. Sehr schön. Was bleibt, sind natürlich einige Schauer, Winddreher und auch ein bisschen Kabbelsee, vor allem in der Nacht. Und heute können wir entgegen der Erwartung eines ausgeprägten Schwachwindgebietes wiederum (jedenfalls bisher) auch immer wieder längere Abschnitte segeln, bei babyblauem Himmel vor uns und tiefblauem Ozean (und einer dunkelgrauen Wolke hinter uns).

Das Sahnehäubchen: Angelglück. Wiederum schlagen beide Ruten gleichzeitig an, wir sind offenbar durch einen Fischschwarm gesegelt. Ein Fisch geht uns vom Haken, aber direkt darauf schlägt die gleiche Rute wieder an während ich jetzt mit der anderen Angel beschäftigt bin. Interessanterweise scheint es ein gemischter Schwarm zu sein. Zunächst holen wir einen Rainbow-Runner an Bord …

… der zweite Fang ist ein Großaugen-Thunfisch:

Und am nassen Deck kann man erkennen, dass während des Filetierens ein Schauer einsetzt. das lässt sich aber bei diesen Temperaturen gut verkraften.

😊

Etmal 105 sm, gesamt auf dieser Passage bisher 2.855 sm, noch 194 sm bis zur Ansteuerung der Gambier.

Essen: Thai-Curry mit Süßkartoffeln, Möhren und unserem eingekochten Hähnchenfleisch. Damit haben wir von allen unseren ersten Einkochversuchen aus La Paz jetzt mindestens einmal probiert und es jeweils für gut befunden. Es kann also weiter eingekocht werden.

Tag 21 der Passage von Mexiko nach Französisch Polynesien

Drei Wochen auf hoher See.

Die ganze Nacht durch und bis jetzt weiter mit Passatbesegelung unterwegs. Zeitweise wieder sehr langsam, aber inzwischen hat der Wind auf 10-13 kn zugenommen und es ist „Champagnersegeln“. Allerdings muss der Alkohol noch ein paar Tage warten.

Das dicke Gewitterband scheint sich vorhersagegemäß zu entwickeln, also endlich aus dem Weg zu ziehen. Im Ernst, 350 km breit, das wäre falls unvermeidbar beim Durchsegeln eine ziemliche Nervenanspannung gewesen. So schön dieses Wetterphänomen aus der Entfernung auch anzuschauen ist, unmittelbar drin zu sein ist selten angenehm. Auf See schon erst recht nicht, wenn der Mast des eigenen Bootes weit und breit die höchste Erhebung ist und sich den Blitzen entgegenzustrecken scheint.

Neben den Französisch-Lektionen ist jetzt auch das Üben des Hantierens mit dem Sextanten angesagt. Da ich ja kein Nautisches Jahrbuch dabei habe, hat das Spielkind in mir nach anderen Lösungen gesucht und tatsächlich eine wunderbare App gefunden: „Circle of Position Navigation“. Dort kann ich meine Sextant-Messungen eingeben. Die sekundengenaue Uhrzeit dazu muss natürlich ebenfalls eingetragen werden, Wiebke ist also ebenfalls eingebunden. Wenn ich bei der Sextant-Messung „jetzt“ rufe, macht sie ein Bildschirmfoto der UTC-Zeit auf der „AtomUhr“-App.

😊

Hört sich albern an? Ist es wohl auch. Aber die sekundengenaue Zeit vom GPS-Plotter abzulesen ist wäre vielleicht noch sinnfreier, wenn der Sextant als Backup für den Fall eines gestörten GPS-Systems dient.

Wie auch immer, die Messungen mit dem altertümlich anmutenden mechanischen Sextant machen Spaß und die digitale (offline-)Auswertung zeigt, dass bei diesen vergleichsweise ruhigen Bedingungen selbst ein Anfänger doch ganz beachtliche Positionsbestimmungen hinbekommt.

Der für den Sextanten ermittelte Indexfehler wird noch korrigiert, die Höhe der Betrachtung eingegeben (2m über Wasserspiegel).

Jede Messung des Winkels der Sonne zum Horizont wird in eine Standline in Form eines Kreises umgerechnet. die zwischen den Messungen versegelte Strecke und Richtung wird ebenfalls eingegeben und einer der Schnittpunkte der beiden Kreise ist der ermittelte Standort. Da wir wissen dass wir auf der Südhalbkugel sind, kommt nur dieser in Frage. Das Programm bereitet es auch optisch sehr nett auf:

Und der so ermittelte Schiffsort liegt tatsächlich nur 14 Seemeilen von unserer tatsächlichen Position laut GPS entfernt. Das reicht nicht, um ein flaches Korallenatoll anzulaufen. Aber eine höhere Insel wie unser Ziel Mangareva im Gambier Archipel, mit dem über 400 m hohen Mont Duff, könnten wir damit vielleicht schon mal finden.

Gar nicht schlecht für den ersten Versuch, vielleicht aber auch nur Anfängerglück. Also weiter üben und damit hoffentlich die Genauigkeit noch verbessern. Jedenfalls Dankeschön Jan, dass Du uns den Sextanten mitgegeben hast.

Etmal 93 sm, gesamt auf der Passage bisher 2.750 sm, verbleiben bis zur Ansteuerung von Gambier noch 310 sm.

Essen: wir probieren unser in La Paz eingekochtes Rindfleisch. Das hat gut funktioniert, sehr lecker mit Nudeln, getrockneten Paprika und frischem Weißkohl (beides ebenfalls aus La Paz). Lecker.

Tag 20 der Passage von Mexiko nach Französisch Polynesien

Unter weißen Flügeln

Mit Passatbesegelung lassen wir uns vor dem Wind weiter in Richtung Gambier schieben. Mit anderen Worten: das Großsegel macht Pause, wir haben sowohl die Fock als auch den Code0 jeweils mit einem Spinnakerbaum jeweils zu einer Schiffsseite hin „ausgebaumt“.

Gerade bei wenig Wind ist das nicht die „schnellste“ Besegelung, aber dafür eine sehr gemütliche. Auf Flora müssen wir dann Winddreher bis zu etwa 60 Grad zu einer Seite nicht ausgleichen, können also einen Windwinkel von 120 Grad abdecken, ohne die Segelstellung oder das Ruder anpassen zu müssen.

Wie wir die Bäume mit Niederholern, Topnanten und Schoten riggen, hatten wir hier schon einmal ausführlich (und sehr technisch) beschrieben.

Gerade bei wenig Wind stellt sich aber vor allem das Gefühl ein, von den ausgebreiteten weißen Flügeln des Bootes geradewegs und ohne großes Geschaukel zum Ziel gezogen zu werden. Wunderschön. 🤩

Und höhere Geschwindigkeit wäre im Moment ohnehin nicht hilfreich. Wir warten immer noch darauf, dass das 200 sm (über 350 km) breite Gewitterband zwischen uns und den Gambier (mit seinem Hauptort Rikitea) verzieht. Es ist bereits schwächer geworden, nicht mehr so viel Rot (=starke Gewitter), mehr Gelb und Grün (=Gewitter) wie ursprünglich befürchtet. Aber erst Freitag früh wird es so weit nach Südosten gewandert sein, dass wir (wenn die Vorhersage stimmt) hinter ihm durchsegeln können.

Für Samstag gibt es derzeit folgende Prognose:

Das sieht doch vielversprechend aus!

Essen: Pfannen-Pizzadilla (wie Pizza gefüllte Tortilla-Fladen zusammengeklappt in der Bratpfanne bereitet), übrigens als Snack auch super einfach mit Pesto oder als Nachtisch mit Nutella.

Etmal 64 sm, unser neuer Rekord im Langsam-Segeln. Das ist aber noch nicht den Passatsegeln geschuldet, vielmehr waren wir in der fast windlosen Nacht noch mit Großsegel unterwegs. Gesamt auf dieser Passage 2.657 sm, noch 414 sm bis zur Ansteuerung am Westpass Gambier.

Übrigens: Wassertemperatur 29,8 Grad Celsius.

Tropisch. 😊

Tag 19 der Passage von Mexiko nach Französisch Polynesien

Alles Blau, aber nicht blau machen.

Rekord Etmal (so wenig hatten wir noch nie): 80 sm, gesamt auf der Passage bisher 2.593 sm, noch knapp 500 sm bis zur Ansteuerung des Westpasses zum Gambier Archipel.

Gestern mussten wir noch extra Reffs einbinden, um langsam unterwegs zu sein. Heute erledigt die Natur die Drosselung der Geschwindigkeit: der Wind ist fast komplett weg. Flora dümpelt unter Vollzeug durch die blaue Blase. Und weil wir ja gar nicht schneller sein wollen, genießen wir das Bummel-Segeln mit selten mehr als 3 kn.

Ein Tag zum „blau machen“ ist es aber trotzdem nicht. Die Flaute will schließlich genutzt sein, um sich das Unterwasserschiff mal anzusehen, zumal am Heckspiegel vom Deck aus erste Entenmuscheln sichtbar sind.

Also Segel weg, Taucherbrille und Flossen her. Mitten auf dem Ozean hinein in das ein paar tausend Meter tiefe unendliche Blau. Unser Freund Uwe vergleicht es mit einem Weltraumspaziergang von der Raumkapsel aus und ein bisschen abenteuerlich fühlt es sich tatsächlich an, raus aus der gewohnten Welt. Allerdings ist ja auch ein Weltraumspaziergang für die Astronauten zumeist ein Arbeitseinsatz mit erschwerten Bedingungen in der Schwerelosigkeit.

Und schon auf der Badeleiter gibt’s den Schock. Da sind nicht nur ein paar Entenmuscheln im Spülbereich um den Wasserpass, eher sieht es aus wie eine Aufzuchtstation:

Und dann der Entenmuschelwald darunter:

Vielleicht ist unser Coppercoat am Ende seiner Wirkzeit angelangt. Es wurde immerhin schon vor neun Jahren aufgebracht, vor nun 5 Jahren haben wir es aufarbeiten und vier weitere Schichten auftragen lassen. Oder aber die Entenmuscheln sind bei ihrem Haftgrund komplett unempfindlich. Eventuell ist auch eine Kombination von beidem. Das Unterwasserschiff klettert auf Floras Projektliste jedenfalls nach oben.

Wie auch immer, ich rücke Floras unerwünschten Unterwasser-Mitseglern mit einem Schaber (Eiskratzer aus dem Autozubehör) auf die Pelle. An einem mittschiffs befestigten Seil halte ich mich fest, schäle die Biester ab. Lediglich Reste der Kalkfüßchen bleiben noch kleben, um die kann ich mich dann aber irgendwo am Anker mal kümmern.

Der kleine Schwarm Fische scheint ein bisschen traurig, als nach einer Dreiviertelstunde sein Versteck weitgehend verschwunden ist, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Das soll ein Unterwasserschiff sein und kein Unterwasserriff.

Wiebke hüpft auch noch mal in das weite Blau:

Dann nehmen wir die Segel wieder hoch und dümpeln weiter Richtung Gambier.

Ach ja, das ruhige Wetter hat natürlich noch weitere Vorteile. Ich komme tatsächlich dazu, mit dem Sextant etwas zu üben – das Gerät wie empfohlen hin und her schwenkend – die Sonne auf die Kimm zu setzen und einen Wert abzulesen.

Eigentlich wäre der nächste Schritt jetzt der Versuch der Ermittlung einer Mittagsbreite und dann der Versuch der Bestimmung der Mittagslänge aus zwei gleichen Höhen. Weil ich aber kein nautisches Jahrbuch dabei habe, muss ich das wohl noch auf später verschieben und erstmal weiter die Handhabung üben.

Essen: super leckere Fisch-Tacos (die absolut besten hier vor Ort!) unter Verwendung der letzten grünen Paprika.

Heute Morgen außerdem Rührei mit Chorizo und Schinken zum Frühstück.

Tag 18 der Passage von Mexiko nach Französisch Polynesien

Noch mehr Rätsel der Seefahrt

Im Klassenraum meiner Grundschule (auf dem platten Land im mittleren Niedersachsen) war eine Kompassrose an die Zimmerdecke gemalt. und entsprechend war eines der ersten Gedichte, das wir Kinder auswendig lernen sollten:

Im Osten geht die Sonne auf,

im Süden nimmt sie Mittags Lauf,

im Westen wird sie untergehen,

im Norden ist sie nie zu sehen.

Quasi Astronavigation für Sechsjährige. Und fortan meine maßgebliche Hilfe bei Wanderungen oder eben sonst unterwegs, wenn man nicht gerade wie auf dem Boot einen Kompass im Blickfeld hat. Einfach, verlässlich. Ein Grundpfeiler der Orientierung. Bis heute.

Und dann das: wir segeln in südliche Richtung. Die Sonne geht zwar weiter pflichtbewusst im Osten auf und im Westen unter. Aber am Mittag wandert sie hoch stehend im Norden hinter Floras Heck durch. Im Süden ist sie nie zu sehen.

Dieser Äquator kennt doch Narreteien, die es locker mit Till Eulenspiegel aufnehmen können. Kaum überquerst Du die Linie, ist irgendwie alles verdreht.

Wobei, direkt am Äquator war eigentlich noch alles gut.

Jetzt ist Winter auf der Nordhalbkugel, mithin Sommer in der südlichen Hemisphäre. Da steht die Sonne ja nicht senkrecht über dem Äquator, sondern weiter südlich zwischen der Linie und dem Wendekreis des Steinbocks (Tropic of Capricorn) auf etwa 23,4 Grad südlicher Breite.

Wir sind inzwischen auf 15 Grad südlicher Breite angekommen und dass die Sonne trotzdem nördlich von uns durchgeht bedeutet, dass sie sich seit ihrem südlichsten Stand am 21. Dezember schon wieder ganz schön weit Richtung Äquator hochbewegt hat, wo sie dann zur Tag- und Nachtgleiche am 21. März senkrecht über der Linie stehen wird.

Hm. Vielleicht sollten wir uns doch mal intensiver mit echter Astronomischer Navigation (und dem an Bord befindlichen Sextanten) beschäftigen. Die ist uns nämlich noch immer ein echtes Rätsel. Aber das Buch für den Einstieg dazu hab ich schon mal rausgesucht.

Etmal wegen der bewussten „Handbremse“ lediglich 88 sm, gesamt auf dieser Passage 2.513 sm, verbleiben rechnerisch noch bis Gambier 787 sm. Allerdings: unser Plotter weist bis zum Wegepunkt der Ansteuerung des Südwestpasses in die Gambier „nur“ noch 579 sm aus, wir haben also mit unserer Route bisher doch deutlich weniger Umweg gefahren als zunächst kalkuliert.

Essen: Hawaiianische Poke-Bowl mit Quinoa, mit Wasabi angemachtem Jicama (mexikanischer Rettich), Rotkohl in Sojasauce und Sweet Chili Möhren. Den Skipjack-Tuna hat Wiebke in Ingwer-Sesam-Sojasauce mariniert.

Die ruhige und extra langsam durchsegelte Nacht habe ich dazu genutzt, mal wieder ein Roggen-Vollkornbrot mit Sonnenblumenkernen (hatte Wiebke sich gewünscht) zu backen.

Tag 17 der Passage von Mexiko nach Französisch Polynesien

Rätsel der Seefahrt

Ein Blick in die Schüssel. 🚽 Die Erde ist kaputt. Oder zumindest das Meer. Die Schwerkraft? Die Corioliskraft? das Wasser fließt in einem rechtsdrehenden Strudel ab. Darf das das? Wir sind doch jetzt auf der Südhalbkugel. Der Einfluss auf den Abfluss: das muss doch andersrum! Wir alle haben in Erdkunde irgendwann in grauer Vorzeit gelernt, dass sich Wirbel auf der Nordhalbkugel rechtsdrehend bilden, auf der Südhalbkugel linksdrehend. Eben wegen der Corioliskraft! Denn durch die Eigendrehung der Erdkugel dreht sie sich unter einem fluiden Medium wie Wasser oder Luft weg. Da sich die unser Planet nach Osten dreht, werden Hochdruckgebiete und Wasserwirbel in der nördlichen Hemisphäre rechtsdrehend abgelenkt, auf der Südhalbkugel dagegen linksdrehend. Tiefdruckgebiete entsprechend umgekehrt. Und doch: nicht in Floras Schüssel. Zur Sicherheit noch mal im Waschbecken ausprobiert: nein, auch das macht, was es will. Die Corioliskraft ist trotzdem nicht kaputt. Vielmehr sind die Wirbel in Floras Becken und Schüsseln einfach viel zu klein, um von dieser Kraft maßgeblich beeinflusst zu werden. Andere Faktoren, wie etwa die Schiffsbewegung oder auch Unregelmäßigkeiten der Form und der Oberfläche haben einen größeren Einfluss auf den Abfluss und sorgen für eher zufällige Wirbelrichtung.

Ein anderes Rätsel: warum sind wir eigentlich so langsam? Wir haben allerbeste Segelbedingungen, Traumwetter, ruhige See. Und trotzdem dödeln wir bei 9 kn Wind mit der Fock und zwei Reffs im Groß herum, laufen derzeit nur noch zwischen vier und fünf Knoten bei 60 Grad am Wind. Ist der Code0 schuld? Das wäre doch eigentlich sein Kurs?

Liegt irgendwie nahe und tatsächlich habe ich heute Vormittag auf dem Vorschiff noch einmal versucht, die Lasching zu optimieren. Aber nur, weil das Segel jetzt etwas schwieriger aufzurollen ist und manchmal durchrutscht. Kein Grund, es nicht zu setzen. Und außerdem würde das auch nicht die beiden nicht zur Windstärke passenden Reffs im Großsegel erklären. Wer uns auf Noforeignland folgt und auf der Bootsansicht in die allgemeine wechselt, sieht dass unser Buddyboat Fidelis neben uns genauso schleicht. Aber nein, zum Glück hat keins der Boote technische Probleme (dreimal auf Holz geklopft). In diesem Fall liegt des Rätsels Lösung in der Zukunft: wären wir schneller unterwegs, würden wir kurz vor den Gambier am Mittwoch/Donnerstag in ein ziemlich großes Gewittergebiet hineinlaufen. Also lieber die Handbremse anziehen und bewusst langsam segeln. Sutje, wie wir in Norddeutschland sagen. Das ist derzeit hier bei diesen Bedingungen leicht zu machen und (für Nicht-Regatta-Segler) auch ganz angenehm. Leider ist aber wohl trotzdem ein unangenehmer Preis dafür zu zahlen: das Gewitterband gehört zu einem kräftigen Tiefdrucksystem, das nach der Vorhersage südlich der Gambier durchziehen wird.

Wenn wir entsprechend unserer Strategie dessen Durchzug abwarten, schaufelt das (auf der Südhalbkugel ja rechtsdrehende) Tiefdruckgebiet auf seiner Rückseite Südwind zu uns hoch. Wir werden also vermutlich die letzten beiden Tage unserer Passage Wind und Wellen gegenan haben. Aber immerhin: die Corioliskraft funktioniert.

🤓

Etmal 142 sm, gesamt auf dieser Passage bisher 2.425 sm, rechnerisch bis Gambier noch 875 sm.

Essen: Linseneintopf (eins von meinen Lieblingsgerichten) mit mexikanischer Chorizo, lecker!

Und nach dem ganzen theoretischen Kram noch etwas Versöhnliches: so sah heute Morgen um sechs unser Sonnenaufgang aus:

Tag 16 der Passage von Mexiko nach Französisch Polynesien

Erste Aktion am Morgen: Code0 neu an den Furler laschen. Das hört sich einfach an und ist es eigentlich auch. Nur der Standort vor dem Bugkorb auf dem über den Anker hinausragenden Edelstahlrüssel macht das Arbeiten dort auf hoher See dann eben doch etwas aufwändiger. So haben wir es auch zunächst anders versucht und den Code0 aufs Vorschiff heruntergelassen, aber ohne die Spannung bekommen wir die Kausch des Torsionskabels einfach nicht in die richtige Position. Also wieder hoch und in verkrampfter Haltung vorm Bugkorb arbeiten. Aber nach einer Stunde ist es geschafft und wir können den Code0 wieder setzen.

Jetzt ist der Morgenkaffee aber wirklich verdient.

Alles außen am Boot klebt vor Salz. Wir kleben auch. Salz und Schweiß, die tropischen Temperaturen machen sich bemerkbar. Nächste Aktion ist also etwas Süßwasserspülung für Scheiben, Persenninge, Griffe und Edelstahlteile. Und dann für uns selbst auf dem Achterdeck.

Frühstück.

Internetrecherche über die Lasching bzw. den Furler, telefonieren und chatten mit Segelfreunden. Wetterdiskussion mit unserem Buddyboat Fidelis, die im Moment etwa 20 sm vor uns segeln.

Endlich ist die See nicht mehr so ruppig, bei diesen Bedingungen kann man doch mal wieder die Angeln ausbringen. Eine Viertelstunde später rauschen sie schon aus. Beide gleichzeitig. Zwei schöne Skipjack-Tuna sind dran, einen lassen wir aber wieder frei, der andere, etwa 56 cm lang, wird gleich filetiert. Das reicht für drei bis vier Tage.

Der Wind nimmt zu, Segelwechsel auf die Fock.

Beim Starten des Wassermacher gibt’s eine Schrecksekunde. Wahrscheinlich eine kleine Blockage (Muschel?) im Seeventil, nach Filtercheck und mehrfachem Öffnen und Schließen des Seeventils der Ansaugleitung läuft er dann doch wieder ganz normal. Ich fülle den Tank ein bisschen auf und dann auch die leer gewordenen Trinkwasserflaschen.

Wiebke backt in der Zwischenzeit Muffins (Mandel/Weiße Schokolade/Himbeer bzw. Pfirsich) und weicht außerdem schon mal Linsen für das Abendessen ein. Gestern gabs asiatische Mie-Nudeln mit Möhren und Weißkohl.

Nebenbei: Backen ist auf der Flora definitiv ein Indikator für gute Stimmung an Bord!

Ein Regenschauer kommt vorbei und klaut den Wind. Eine halbe Stunde dümpeln mit rund 3 kn. Sonnenschutz aufbauen. Dann kommt der Wind mit 10 kn zurück. Schön, jetzt können wir wieder auf den Code0 wechseln. Jetzt 13 kn, das ist mit diesem Segel schon wieder ganz schön schräg (aber schnell).

Und schon ist wieder ein Tag um.

Etmal 156 sm, gesamt auf dieser Passage bisher 2.283 sm, rechnerisch bis Gambier noch 1.017 sm.

Tag 15 der Passage von Mexiko nach Französisch Polynesien

Murmeltiertag.

Gutes (aber durch die permanente Schräglage auf die Dauer auch anstrengendes) Segeln, schönes Wetter, Lesen, Musik hören, Stricken, Duolingo-Französischlektionen, ein weiterer herrlicher Sonnenuntergang.

Essen: Lauch-Nudeltopf mit frischem Lauch (der hat sich gut gehalten) und mit Hackbällchen (die hatten wir in La Paz mit unserem Schnellkochtopf eingekocht) und mit Sahnesauce. Lecker.

Und dann der Murmeltier-Effekt: der Code0 rutscht wieder auf dem Antitorsionskabel hoch, die Lasching ist gerissen, mein Provisorium von vor drei Tagen war wohl doch nicht gut genug. So können wir das Segel nicht einrollen, was aber bei dem auffrischenden Wind jetzt nötig wäre. Außerdem ist es schon dunkel.

Also mit Kopflampe auf dem tanzenden Vorschiff erst mal wieder eine Hilfskonstruktion riggen, mit der wir den flappenden 80 qm großen Code0 etwa einen Meter herunterziehen können. Dann eine neue, kräftigere Lasching zum Code0-Furler auf dem Bugspriet herstellen. Immerhin sind die Arbeitsschritte ja schon bekannt, das gleicht den Nachteil der Dunkelheit etwas aus.

Einrollen – klappt! Pfff, Erleichterung. Jetzt die Fock ausrollen und erstmal durchatmen. Da muss ich bei Tageslicht und ruhigerem Wetter auf alle Fälle noch mal ran, aber für jetzt ist die Situation immerhin bereinigt.

Die Fidelis ist in der Nacht an uns vorbeigegangen, liegt jetzt ein bisschen vor uns, wir segeln nur sieben Meilen voneinander versetzt. Es war eigentlich bei so unterschiedlichen Booten (Hallberg-Rassy 43 / Amel 54) nicht zu erwarten, dass wir lange quasi immer in Funkreichweite von einander unterwegs sein würden. Aber das ist jetzt schon über zwei Wochen und über 2.000 Seemeilen so! Mal schauen, ob sie uns jetzt davonziehen oder ob wir weiter den Kontakt halten können.

Etmal 167 sm, gesamt auf dieser Passage bisher 2.127 sm, verbleiben bis Gambier rechnerisch noch 1.173 sm